- Details
- Zugriffe: 3484
Der Himmel über diesem Planeten erschien bleigrau. Im Grunde wirkte er ständig so. Tim Cavanaugh fragte sich, ob es überhaupt andere Farben als Grautöne gab. Sein Blick wanderte zu der Wand, an der er für jeden Tag, an dem er auf dieser schrecklichen Welt wach wurde, einen Strich machte. Über ein Jahr lebte er bereits hier und noch immer hatte sich kein Suchkommando blicken lassen.
Tim streckte sich und zog seine löchrige Kombination an, die er zum Schlafen abgelegt hatte. Das Feuer in seiner Höhle war über Nacht heruntergebrannt und er musste sich trockenes Holz besorgen, falls er nicht frieren wollte. Er hoffte, dass sich wenigstens irgendein Tier in einer seiner Fallen verfangen hatte und er etwas zum Essen hatte. Er hätte durchaus auch im Wrack seines Aufklärers übernachten können, aber das erschien ihm zu riskant. Seit mehr als einem Jahr sendete der Notsender seines Fliegers ein Peilsignal aus, das es seinen Leuten eigentlich ermöglichen sollte, ihn zu finden, doch nie war ein irdisches Raumschiff über seinem Planeten erschienen. Nicht einmal eine Antwort auf seine Notrufe hatte er erhalten. Es war, als gäbe es überhaupt keine Menschen mehr.
Tim griff nach seinem Fernglas, das zur Notausrüstung seines Schiffes gehörte, und setzte es an seine Augen. In der Ferne sah er sein Schiff - oder besser das, was davon übrig geblieben war, nachdem ihm in letzter Minute eine harte Landung gelungen war. Er wagte es nicht, sich zu weit von der Absturzstelle zu entfernen, da noch immer Hoffnung auf Rettung bestand. Irgendwann mussten sie einfach kommen, um ihn zu holen.
Allerdings lauerte im Hintergrund auch die Angst, dass es nicht Menschen sein würden, die seinem Notsender folgten, sondern ein Schiff der Vri.
Tim hatte die Zeit vor den großen Kriegen gegen die Vri überhaupt nicht mehr kennengelernt. Seit vielen Jahrzehnten tobte ein erbitterter Kampf überall dort, wo Schiffe der Vri und der Menschen aufeinandertrafen, und ein junger, gesunder Mensch hatte kaum eine andere Wahl, als sich zu den Raumstreitkräften zu melden.
Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Nach der Entdeckung des Prinzips der überlichtschnellen Raumfahrt hatte die Menschheit alles darangesetzt, die Sternensysteme ihrer Umgebung zu erforschen und zum Teil sogar zu besiedeln. Immer weiter flogen die Forschungsschiffe der Erde hinaus und erschlossen neue Welten für die Menschheit.
Dann, eines Tages, traf man im Orbit einer der zu erforschenden Welten ein fremdes Raumschiff an. Nach dem ersten Schreck versuchte man Kontakt zu den Fremden zu bekommen, doch das erwies sich als äußerst schwierig. Es handelte sich bei den anderen um Abkömmlinge von Insekten, die sich in einem Frequenzband unterhielten, das vom menschlichen Gehör nicht mehr wahrgenommen werden kann. Nach vielen Fehlversuchen gelang es beiden Seiten, ein Treffen zwischen den beteiligten Rassen zu vereinbaren. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, der heute nur schwer zu verstehen ist. Die Vertreter der Vri, wie sich die Fremden nannten, waren doppelt so groß wie die Menschen der Kontaktgruppe, und machten, allein durch ihre äußere Erscheinung, einen bedrohlichen Eindruck. Einer der Sicherheitsleute hatte die Nerven verloren und auf einen der Fremden geschossen. So jedenfalls hatte man es ihm erzählt und so stand es auch in allen Geschichtsbüchern.
Eigentlich war es ihm auch vollkommen gleich, denn er hatte andere Sorgen. Viele Pflanzen der Flora dieses Planeten waren für ihn ungenießbar. So war er darauf angewiesen, Fische in einem nahe gelegenen Bach zu fangen oder eines der kleinen, achtbeinigen Pelztiere zu erlegen, die sich gelegentlich in einer seiner Fallen verfingen. Sie schmeckten gebraten einigermaßen und deckten zumindest seinen dringendsten Bedarf an Nährstoffen. Trotzdem ließ ihm allein der Gedanke an ein saftiges Steak oder irdisches Gemüse das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Vorsichtig verließ Tim seine Höhle und machte sich auf, seine übliche Runde zu machen. Zunächst lief er zum Wrack seines Aufklärers. Es überraschte ihn immer wieder, dass die Innenbeleuchtung nach einem Jahr noch funktionierte. Zügig lief er zur Zentrale und überprüfte den Zustand der Batterie für den Sender. Zufrieden stellte er fest, dass sie noch für einige Monate Energie liefern würde. Ein Blick auf den Empfänger zeigte ihm, dass niemand versucht hatte, ihn zu erreichen. Wer hätte das auch tun sollen?
Er wollte schon wieder gehen, als er - aus einer Laune heraus - die Ortungseinrichtungen aktivierte. Tim wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch einwandfrei funktionierten. Einen Moment betrachtete er den Monitor, der leichte Pixelstörungen produzierte, die wie Ortungsechos wirkten. Er wollte schon abschalten, als ihm bewusst wurde, dass eine der Störungen immer an derselben Stelle erschienen waren. Tim beobachtete weiter und spürte, wie ihn eine leichte Erregung ergriff. Hatte diese Anzeige etwas zu bedeuten oder war der Monitor an dieser Stelle einfach vollkommen defekt? Als er bemerkte, dass der Punkt allmählich wanderte, war er sicher, eine echte Ortung zu sehen. Da er wusste, dass der Auswertungscomputer kaputt war und seine Ortungsimpulse nur sehr schwach sein konnten, war klar, dass es sich um ein Raumschiff handeln musste. Da seine unzulänglichen Instrumente es erfasst hatten, musste es bereits sehr nah sein. Wieso hatten sie dann nicht versucht, ihn zu erreichen? Sie mussten doch seine Notsignale empfangen haben.
Plötzlich wurde es ihm klar: Es musste sich um ein Schiff der Vri handeln. Er konnte nicht verhindern, dass sich Entsetzen ihn ihm breitmachte, obwohl er immer gewusst hatte, dass diese Situation eintreten konnte.
Er musste schleunigst das verdammte Schiff verlassen. Wenn die Vri ihn geortet hatten, würden sie nicht zögern, sein Schiff zu vernichten. Er hatte keine Lust, dann an Bord zu sein. Hastig zog er sich zur Eingangsschleuse zurück und wollte schon herausspringen, als er innehielt. Wenn es tatsächlich die Vri waren und sie das Wrack erst untersuchen würden. Könnten sie dann nicht auf die Idee kommen, dass es einen Überlebenden gab? Würden sie ihn nicht suchen? Er brauchte Waffen, um sich gegen diese Monster verteidigen zu können.
Tim rannte zurück und öffnete die Behälter, in denen auch Waffen für den Notfall gelagert waren. Ohne nachzudenken griff er mehrere Lasergewehre und Energiemagazine, bis er sich so viel aufgeladen hatte, dass er kaum mehr laufen konnte. Mühsam schleppte er alles bis zu seiner Höhle und legte es neben seiner Feuerstelle auf den Boden. Er blickte zurück und sah zu seinem Entsetzen, dass man seinen Weg mühelos bis zur Höhe zurückverfolgen konnte. Er musste unbedingt seine Spuren beseitigen. Er hatte zu diesem Zweck einen primitiven Besen gefertigt, mit dem er sich auf den Weg zum Wrack machte. Er hatte sein Ziel fast erreicht, als ein fernes Dröhnen seine Aufmerksamkeit nach oben, in den grauen Himmel richtete. Was sich dort lautstark ankündigte, war unzweifelhaft ein Raumschiff.
Tim wusste im ersten Moment nicht, was er tun sollte. Seit mehr als einem Jahr wartete er auf das Erscheinen eines Raumschiffs, doch nun musste er befürchten, dass es ihm den Tod bringen würde.
Das Schiff war bereits mit bloßem Auge zu erkennen, als er endlich aus seiner Starre erwachte und sich auf den Rückweg zu seiner Höhle machte. Er schwang dabei seinen Besen hinter sich her und hoffte, dass die Spuren dadurch weitgehend unkenntlich wurden. In seiner Höhle griff er gleich nach einem Gewehr und machte es einsatzbereit. Inzwischen konnte er die Form des Schiffes erkennen. Es wirkte wie zwei Tropfen, die an ihrer dünnen Stelle zusammengewachsen waren. So bauten nur die Vri. Die Tatsache, dass sie sein abgestürztes Schiff so zielstrebig anflogen, war ihm Beweis genug, dass er selbst sie durch seinen automatischen Notruf erst auf sich aufmerksam gemacht hatte. Jeden Moment musste es geschehen und der vernichtende Energiestrahl würde sich in sein Schiff fressen, um es zu zerstören. Tim fühlte eine irrationale Traurigkeit angesichts der Gewissheit, seine letzte Verbindung zur Erde zu verlieren. Gespannt verfolgte er, das Manöver der Fremden, doch anstatt auf sein Schiff zu schießen, leiteten sie den Landevorgang ein. Sanft, wie eine Feder setzte das Schiff der Vri neben dem Wrack auf, das neben dem Doppeltropfen der Vri winzig wirkte.
Gegen seinen Willen musste er die Ästhetik der fremden Schiffskonstruktion bewundern. So elegante Schiffe hatte die Erde nie gebaut. Ihm wurde bewusst, dass er gleich einen oder mehrere der Vri sehen würde. Obwohl sich Menschen und Vri schon so lange bekämpften, hatte Tim noch nie mit bloßem Auge eines der fremden Wesen gesehen. Unwillkürlich fasste er sein Gewehr fester, als sich am hinteren Rumpfelement eine Öffnung auftat und eine Rampe ausgefahren wurde.
Tim legte sich auf den Bauch und stützte das Lasergewehr auf einem Dreibein auf, um besser zielen zu können. Ununterbrochen sah er durch das optische Visier und beobachtete die Öffnung durch seine Zielvorrichtung. Er presste seine Zähne fest aufeinander. Wenn sie ihn schon umbringen würden, wollte er möglichst viele von ihnen mitnehmen. Tim fühlte sich nicht als Held - ganz im Gegenteil. Er hatte eine lähmende Angst vor dem, was ihm bevorstand.
Über die Rampe bewegten sich mittlerweile sechs der fremden Wesen nach draußen. Sie liefen dabei auf ihren hinteren vier Beinen und hielten irgendwelche Geräte in ihren Greiforganen. Vermutlich waren es Waffen. Tim war verblüfft, wie anmutig sich diese riesigen Insekten bewegen konnten. Sie liefen in gleitenden, fast fließenden Bewegungen auf das Wrack zu und stellten sich rundherum auf. Er konnte nicht erkennen, was sie taten, doch nach kurzer Zeit kletterten zwei von ihnen ins Innere seines Schiffes. Tim fragte sich, was er tun sollte. Sein Gewehr hatte eine große Reichweite. Sicherlich könnte er es schaffen, diese sechs Gegner zu töten. Er musste jedoch damit rechnen, dass sich im Schiff noch weitere Gegner aufhielten, die ihn sofort unter Feuer nehmen würden. Seine Phantasie reichte durchaus aus, sich vorzustellen, was ein Bordgeschütz mit seiner Höhle und vor allem mit ihm anstellen würde. Andererseits: Es würde schnell gehen. Ob man es spüren würde, wenn man von einem Energiestrahl getroffen wurde? Darüber hatten sie ihnen in der Ausbildung nichts erzählt.
Die beiden Fremden kamen wieder aus dem Schiff hervor und berieten sich offenbar mit ihren Artgenossen. Es waren wahre Riesen, wie sie dort neben seinem Aufklärer standen. Es war, als kehrte sich das Empfinden um. Nicht sie waren die Insekten, sondern er, und er musste damit rechnen, von ihnen zerquetscht zu werden. Die Vri begannen, um das Schiff herumzulaufen. Es sah aus, als würden sie etwas suchen.
Die Erkenntnis traf ihn plötzlich wie ein Schlag: Er hatte es nicht mehr geschafft, das Schiff zu erreichen, um seine Spuren vollständig zu verwischen. Sie hatten seine Fußabdrücke vor der Schleuse entdeckt und wussten nun, dass es einen Überlebenden geben musste.
Tim spürte den Schlag seines Herzens bis in den Hals. Die Knöchel seiner Finger, die das Gewehr hielten, traten weiß hervor - so verkrampfte er sich. Entsetzt sah er, wie sich der Tross der sechs Giganten allmählich in seine Richtung bewegte. Immer wieder stoppten sie, hielten rätselhafte Geräte in alle Richtungen und kamen dabei seinem Versteck immer näher.
Tim erinnerte sich an die Berichte von Überlebenden der ersten Kriegsjahrzehnte. Sie hatten über unmenschliche Folterungen geschrieben, mit denen die Vri Informationen von gefangenen Menschen erpresst hatten. Die Vorstellung, von diesen Insekten gefoltert zu werden, machte Tim fast wahnsinnig. Kurz spielte er mit dem Gedanken, seinem Leben selbst ein Ende zu machen, doch Angst hielt ihn davon ab. Schweiß rann ihm in die Augen und trübte seinen Blick. Er wischte sich mit dem Ärmel seiner zerschlissenen Kombination über das Gesicht. Als er durch die Zielvorrichtung wieder etwas erkennen konnte, bemerkte er, dass die Fremden mit ihren Armen in seine Richtung deuteten. Also hatten sie ihn nun endgültig entdeckt. Das Versteckspiel war vorbei. Jetzt musste er handeln und hoffen, dass es ihm gelang, den Kampf zu überleben. Entschlossen steckte er den Finger durch den Abzug seiner Waffe und zielte auf den hintersten der sechs Vri. Tim spürte einen Kloß im Hals und seine Hände zitterten. Er zwang sich zur Ruhe und atmete tief und gleichmäßig, um die nötige Ruhe für den ersten Schuss zu finden. Dann drückte er den Abzug und ein blassblauer Lichtfinger fuhr um Haaresbreite an dem Vri vorbei.
Tim war vollkommen erschüttert, dass ihm nicht einmal ein Treffer geglückt war. Die Fremden warfen sich mit unmenschlich wirkender Geschwindigkeit zur Seite und verschwanden aus seinem Zielfokus. Tim fluchte. Er hatte seine einzige Chance vertan, das Überraschungsmoment zu nutzen. Nun würden sie ihn töten. Seine Hände zitterten wieder und er spürte, wie ihm der Schweiß über den ganzen Körper rann. Fühlte sich so das Ende an? Er wunderte sich, dass er überhaupt noch denken konnte. Vielleicht war es, weil die Situation so hoffnungslos war.
Tim blickte wieder nach vorn und sah, wie einer der Vri einen kugelförmigen Gegenstand in seinen Greiforganen hielt und ihn in seine Richtung warf. Eine Granate! Die Kugel kam genau auf ihn zu und polterte lärmend in seine Höhle hinein. Tim konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken und warf sich hinter einen kleinen Felsen, in der Hoffnung, dass es sich nicht um eine Plasmabombe handelte.
Als nach mehreren Sekunden noch nichts geschehen war, lugte Tim aus seiner Deckung hervor. Die Kugel lag einige Meter von ihm entfernt zwischen den restlichen Waffen, die er aus dem Wrack geschleppt hatte. Hektisch blickte er auch in Richtung des Höhleneingangs, doch dort blieb alles ruhig.
Plötzlich ertönte ein schnappendes Geräusch und die Kugel klappte in zwei Hälften auseinander. Die Nerven bis aufs Äußerste gespannt, verfolgte er, was weiter geschah. Die Innenseiten der Kugelhälften begannen zu leuchten und ein tiefer Ton ließ die gesamte Höhle dröhnen.
»Nicht schießen!«
Tim zuckte hoch. Was war das? Wer hatte da gesprochen?
Er schaute in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, doch dort lag nur die aufgeklappte Kugel. »Nicht schießen, Mensch.«
Die Stimme kam direkt aus diesem Gerät. Wollten sie ihn verhöhnen?
Dann fiel ihm ein, dass Vri im Ultraschallbereich sprachen. Dieses Gerät war offenbar keine Bombe, sondern ein Frequenzumsetzer und vermutlich auch ein Übersetzungsgerät. Was wollten die Fremden von ihm?
»Was wollt ihr?«, rief er zur Kugel hinüber und wartete.
»Nicht schießen. Keine Gefahr. Kein Kampf. Friede.«
Tims Gedanken rasten. War das ein Trick? Doch wozu sollten sie noch Tricks anwenden? Er war ihnen doch vollkommen ausgeliefert.
»Bitte hervorkommen. Ohne Waffe. Friede.«
Er sah wieder zum Höhleneingang und dort standen nun drei der Fremden, die ihn aus ihren Facettenaugen anblickten. Sie hatten leere Greiforgane und hielten sie gespreizt. Tim kannte nicht die Bedeutungen und Gewohnheiten der Vri, aber diese Geste wirkte tatsächlich nicht, als wollten sie ihn angreifen. Vorsichtig erhob er sich und warf seine Waffe deutlich sichtbar zur Seite. Er hatte sowieso nichts mehr zu verlieren.
»Ich bin unbewaffnet.«
»Das ist gut. Iklkrk will keinen Kampf.«
Tim war ratlos. »Was wollt ihr dann? Was wollt ihr von mir?« Er blickte von einem Fremden zum anderen, konnte aber nicht erkennen, welcher von ihnen sein Gesprächspartner war.
»Sendet Mensch nicht Notsignal? Wir orten und bringen Hilfe.«
Tim brach in ein hysterisches Gelächter aus, als er das hörte. »Vri helfen Menschen? Hier läuft doch was vollkommen falsch. Wir sind Feinde ...«
»Nicht mehr Feinde. Vri und Menschen Frieden geschlossen.«
Einer der Fremden trat auf Tim zu, der unwillkürlich den Atem anhielt, als dieses riesige Insekt auf ihn zukam. »Ich bin Iklkrk, Unterkönigin des Schiffes 'Schwebende Wolke'. Wie ist dein Name, Mensch?«
»Tim. Tim Cavanaugh.«
»Ich grüße dich Timtimcavanoo.« Die Vri hielt ihm ein Greiforgan hin.
»Tim reicht.« Skeptisch betrachtete er die Greifklaue der Vri.
»Ist nicht Brauch bei Menschen, sich an den Greifern zu fassen, um Freundschaft zu machen?«
Allmählich dämmerte es Tim, dass diese Vri ihm tatsächlich ihre Freundschaft anbot. Zögernd griff er zu und legte seine Hand in die große, hornige Greifklaue von Iklkrk. Er glaubte, in einem Märchen zu sein. Da stand er inmitten einer Gruppe von Vri und sie boten ihm - einem Menschen - ihre Freundschaft an. Die übrigen Vri betraten nun die Höhle und schlugen klappernd mit ihren Greifern gegen ihre Körperpanzer.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Meine Soldaten grüßen dich. Du jetzt Freund der Vri. Wir dich bringen zu Menschenvolk.«
»Ihr wollt mich nach Hause bringen? Wirklich? Ich verstehe das nicht mehr.«
»Vri und Menschen waren dumm. Wir erkennen. Ihr erkennen. Viel Missverständnis. Vri nie wollten Krieg. Menschen nie wollten Krieg. Jetzt Friede. Bald vielleicht auch alle Vri und Menschen Freunde. Wir haben beschlossen Grenze zwischen Reich der Königin von Vri und Sternenreich von Menschen. Du hier auf Planet von Reich der Königin von Vri. Wir dich bringen nach Erde.«
»Das wäre einfach wunderbar.« Tim blickte sich noch einmal in der Höhle um, die über ein Jahr lang sein Heim gewesen war. Nichts hielt ihn hier zurück. »Dann lasst uns gehen.«
Die Vri nahmen den kleinen Menschen in ihre Mitte und geleiteten ihn zu ihrem Schiff. Da die Vri ebenfalls Sauerstoffatmer waren, brauchte er in dem fremden Schiff keinen Raumanzug. Neugierig blickte er sich um. Alles sah so fremdartig aus, dass er keine Vorstellung davon hatte, welche Funktion die einzelnen Geräte hatten, die er sah. Lediglich ein großer Bildschirm an einer der Wände zeigte ihm ein genaues Bild der Welt, auf der er so lange gelebt hatte.
Ohne, dass er es gespürt hatte, hob die 'Schwebende Wolke' ab und näherte sich dem Weltraum. Gebannt verfolgte er die Flugmanöver der Vri. Als das Schiff endgültig Fahrt aufnahm, spürte er eine sanfte Berührung an seiner Schulter. Iklkrk stand neben ihm und hatte einen ihrer Greifer auf seine Schulter gelegt.
»Weltraum unendlich schön«, sagte sie. »Und so groß. Platz für alle Wesen.«
Tim nickte. »Da hast du recht.« Verstohlen sah er zu ihr auf. Sie sah aus wie eine Kreuzung aus Riesenameise und Hornisse. Dem starren Kopf mit den großen Facettenaugen waren keine Emotionen anzumerken. Trotzdem hatte sie ihm einen ihrer Greifer in Freundschaft auf die Schulter gelegt.
Mit einem Mal wirkte die Vri nicht mehr so fremdartig, wie noch vor kurzer Zeit.