Die Besucher

Dr. William Lyman betrat den Auswertungsraum der zum "Very large Array" gehörenden Station in Socorro / New Mexico. Es handelte sich dabei um eines der größten Radioteleskope der Welt und die Bezeichnung "Array" machte deutlich, dass es sich um eine ganze Reihe von Radiotelekopen handelte, die man zusammengeschaltet hatte, um bessere Ergebnisse zu erzielen.
Lymans Laune war nicht die Beste. Seit er zum SETI-Projekt gestoßen war und sich mit der Suche nach Signalen von außerirdischem Leben befasste, waren seine erhofften Erfolge ausgeblieben. Es steigerte seine Laune auch nicht, dass der Kaffeautomat in der Eingangshalle schon wieder kaputt war.
"Was ist los?", fragte Nat Boeringer, der Programmierer, als er Lymans mürrisches Gesicht sah, doch dieser winkte nur ab.
"Es gibt schon wieder keinen Kaffee", sagte er schließlich.
"Komm', setz' dich zu mir", sagte Nat, "ich habe noch welchen in meiner Isolierkanne. Du kannst ihn dir gern nehmen."
"Das ist nett, danke", antwortete Lyman.
Er nahm auf einem Stuhl neben Nat Platz und schüttete sich etwas Kaffee in seine vollkommen verdreckte Bechertasse.
"Manchmal macht es mich einfach fertig", erklärte er, "ich frage mich häufig, ob unsere Anlagen überhaupt funktionieren, oder ob sie genauso zuverlässig sind, wie dieser verdammte Kaffeeautomat."
Vorsichtig nippte er an seinem Kaffee.


"Wie lange beobachten wir nun schon das Sternbild des Scorpion?", fragte er Nat.
"Zu lange", antwortete dieser, "ich bin schon lange dafür, dass wir uns ein neues Ziel suchen. Die Pulsare und Radiosterne im Scorpion liefern nur die üblichen, rhythmischen Routinen. Da sind keine Modulationen erkennbar, die auf intelligentes Leben schließen lassen. Aber du kennst ja den Verwaltungsrat der Universität ..."
Schweigend blickten sie auf die unzähligen Anzeigen der Empfänger und Aufnahmegeräte, als plötzlich ein neuer Ton sich unter das Rauschen des Weltalls mischte. Lyman verschüttete fast seinen Kaffee und Nat rutschte beinahe von seinem Stuhl.
"Läuft die Aufnahme?", fragte Lyman, "Ruf' sofort im Büro von Dr. Hammersmith an. Zoe soll sofort kommen. Wir brauchen sofort eine Kryptologin."
"Es ist bestimmt wieder falscher Alarm", behauptete Nat, "es ist immer falscher Alarm."
"Nat, beweg' deinen Arsch!", schimpfte Lyman, "Ich will sofort wissen, wo dieses Signal herkommt. Stehen irgendwelche Satelliten dort oben, die uns einen Streich spielen?"
Nat hatte inzwischen einige Schaltungen vorgenommen.
"Das Signal kommt direkt aus der Richtung vom Antares - definitiv nicht natürlichen Ursprungs."
Nat deutete auf einen der Monitore.
"Hier, sieh dir diese Amplituden an", sagte er, "das kann nicht natürlich sein. Soll ich SETI verständigen?"
"Nicht so hastig, Nat", mahnte Lyman, "es ist noch nichts verifiziert. Wir wollen uns ja auch nicht lächerlich machen. Wandert das Signal?"
"Negativ", meinte Nat, "wenn es ein Satellit wäre, hätten wir inzwischen schon einen messbaren Winkel. Dieses Signal stammt wirklich von draußen."
Sie sahen sich einen Moment schweigend an, dann jubelten sie laut los.
"Mensch, wir haben wirklich ein echtes, außerirdisches Signal aufgefangen!", rief Lyman, "Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was es bedeutet. Ruf' bitte sofort Zoe an."

* * *

Ganz allmählich erwachte Sguun. Sguun war ein Droon, genauer gesagt, er war der Denker der Hexade Vrood, die das Trägerraumschiff "Unterwerfer" befehligte. Es dauerte eine Weile, bis Sguun seine Gedanken wieder logisch ordnen konnte. Diese Situationen waren ihm immer äußerst unangenehm, zumal ein Denker die Aufgabe hatte, seine Hexade zu leiten und zu ordnen. Er richtete seine optischen Sensoren in alle Richtungen, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Liboth, der zweite Connector der Hexade starrte ihn bereits erwartungsvoll an.
"Ihr Denker braucht wirklich immer am längsten", sagte Liboth, "der bionische Lenker hat das Signal gegeben. Es ist soweit. Wir müssen uns bei Klesh melden."
Sguun ließ seinen sechseckigen Körper vibrieren, um wieder Gefühl in den sechs Beinen und in seinen Manipulatoren zu bekommen. Diesmal musste es sehr lange gedauert haben, bevor das Signal gegeben wurde, viele Zyklen, bevor die automatischen Ortungseinrichtungen wieder einmal eine intelligente Rasse ausfindig gemacht hatten, die es zu bekämpfen und unterwerfen lohnte.
"Sguun, wir müssen in die Zentrale", mahnte Liboth, "wenn der bionische Lenker erst einmal die Kontrolle abgegeben hat, müssen wir bereit sein, sie zu übernehmen."
"Dann sollten wir uns beeilen", meinte Sguun, "was ist mit dem Rest der Hexade?"
"Alle bereits wach und einsatzbereit", meldete Liboth, als sie sich auf den Weg in die Zentrale machten. Die "Unterwerfer" war ein Trägerraumschiff, so dass es ein beachtlicher Weg war, den sie zurücklegen mussten.
Die Droon waren eine sehr alte und sehr kriegerische Rasse. Vor Millionen von Jahren waren sie auf dem Planeten Kualp entstanden, der die Riesensonne Antares umkreiste, welche die hellste Sonne im Sternbild des Skorpions ist. Die unglaubliche Größe von Antares, die etwa siebenhundert Mal größer ist, als die irdische Sonne, sowie die Tatsache, dass es sich bei Antares um einen Pulsar handelte, führte zu einer extrem widerstandsfähigen Rasse, die nach einer langen planetaren Geschichte voller Kriege, den Sprung ins All geschafft hatte. Angetrieben durch ihre Mentalität, bauten sie riesige Armadas von Kampfraumschiffen und durchstreiften das All - immer auf der Suche nach intelligentem Leben, das man bekämpfen und unterwerfen konnte. Man konnte sagen, dass Expansion und Kampf die Antriebsfedern jeglichen Tuns der Droon waren. Dabei verbrachten die Droon die Zeit bis zu einem Alarm durch die automatischen Systeme im Kältetiefschlaf und wurden erst geweckt, wenn potentielle Gegner lokalisiert worden waren. Sehr hilfreich war ihnen dabei auch ihre extreme Fruchtbarkeit. Eine einzige Hexade war durchaus in der Lage, einige Tausend Nachkommen zu zeugen. Da nahezu alles im Leben der Droon auf der Ordungszahl sechs beruhte, traf dies auch für ihre Fortpflanzung zu. Jeweils eine Hexade aus sechs Droons musste sich vereinigen, um Nachkommen zu zeugen. Dabei hatte jedes Mitglied der Hexade eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Es gab jeweils ein Weibchen, ein Männchen, einen Denker und drei Connectoren, die vermittelnd tätig werden mussten.
Als Sguun und Liboth die Zentrale betraten, wurden sie überschwänglich vom Rest der Hexade begrüßt. Sguun überging diese Zudringlichkeiten zunächst und fragte:
"Wie ist der Status der anderen Schiffe? Wie sehen wir in den Bruttanks aus? Können wir in kurzer Zeit eine komplette Mannschaft von Soldaten für die Beiboote heranzüchten?"
"Klesh von der 'Eroberer' wartet bereits auf unsere Meldung", sagte Klethana, das Weibchen der Hexade, "die Bruttanks könnten allerdings etwas Nachschub gebrauchen. Ich würde vorschlagen, dass wir noch vor der nächsten Mission verschmelzen, damit ich den Tanks neue Eier zuführen kann, Sguun."
Sguun verspürte eine unterschwellige Erregung, als er an eine in Kürze stattfindende Verschmelzung dachte, schob diesen Gedanken jedoch beiseite und forderte den bionischen Lenker auf, eine Verbindung zur 'Eroberer' herzustellen.
Die holographische Projektion eines Droon erschien mitten im Raum. Es handelte sich um den Leiter der Mission, Klesh, der vom Flagschiff "Eroberer" aus die Armada der Droon befehligte. Sguun wusste, dass nun ein entsprechendes Hologramm von ihm ebenfalls in der Zentrale der "Eroberer" erschien und nahm die demutvolle Haltung des Untergebenen ein.
"Eure Hexade ist spät dran", kritisierte Klesh anstelle einer Begrüßung, "die übrigen Schiffe haben bereits ihre Bereitschaft gemeldet."
"Ich bitte um Vergebung, Klesh", sagte Sguun entschuldigend, "unser bionischer Lenker hat den Weckprozess nicht eher eingeleitet."
Klesh winkte mit einem seiner Manipulatoren und meinte:
"Lassen wir das. Wir haben eine vielversprechende Ortung aus dem vor uns liegenden Sonnensystem. Der bionische Analysator hat errechnet, dass der dritte Planet dieses Systems intelligentes Leben tragen muss. Die Rezeptoren haben Signale aufgefangen, die eindeutig beweisen, dass es Wesen gibt, die in der Lage sind, Audio- und Videosignale zu erzeugen. Überraschend ist nur, dass der dritte Planet äußerst klein ist und überwiegend mit einer Wasserstoff-Sauerstoff-Verbindung in flüssigem Aggregatzustand bedeckt ist. Die Sonne ist zudem relativ klein und kann daher nicht sehr viel Energie abgeben. Der Planet ist daher extrem kalt."
"Ist es unter diesen Umständen überhaupt ratsam, ihn zu erobern und seine Bewohner zu unterwerfen?", wollte Sguun wissen, "Er ist für uns ungeeignet und wir verbrauchen nur wertvolle Ressourcen."
"Sguun, hüte dich vor lasterhaften Gedanken!", wies ihn Klesh zurecht, "Die Droon wurden erschaffen, um zu unterwerfen. Das haben wir immer getan und wir werden nicht ruhen, bis das Reich der Droon das Einzige im Universum ist. Diese Wesen werden - wie alle anderen bisherigen auch - begreifen müssen, dass nur die Droon geeignet sind, die Geschicke des Universums zu leiten. Wir werden unverzüglich volle Gefechtsbereitschaft herstellen und mit der gesamten Armada den Planeten anfliegen. Deine Hexade wird eine Mitteilung an diese Wesen vorbereiten und absenden. Kündige ihnen unsere Ankunft an und weise auf unsere Flottenstärke hin. Vielleicht hält es sie schon davon ab, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und wir sind nicht gezwungen, sie auszulöschen."
"Verstanden", bestätigte Sguun, "wir werden unseren bionischen Lenker an den Lenker der "Eroberer" koppeln. Gefechtsbereitschaft wird unverzüglich hergestellt."
Das Hologramm ihres Leiters verschwand und die Hexade Vrood war wieder allein. Sguun drehte einige seiner optischen Sensoren und erblickte Klethana, sowie Tarnuuk, ihr Männchen, sowie die Connectoren Naados, Liboth und Klephk. Alle machten sie einen äußerst erregten Eindruck. Zum einen war es díe Vorfreude auf den bevorstehenden Kampf, zum anderen auch die Vorfreude auf die bevorstehende Verschmelzung ihrer Hexade. Bisher hatten sie sich noch vor jedem Kampf verschmolzen. Sguun konnte sich selbst kaum noch beherrschen, doch die Anweisungen waren klar. Also bereitete er eine Funkmitteilung vor, die den Fremden ihr Ultimatum klar machen sollte. Wenn die Fremden so intelligent waren, wie es vermutet wurde, würden sie die Nachricht entschlüsseln können und ihre Schlüsse daraus ziehen können. Nachdem die Nachricht einige Male gesendet worden war, koppelte er noch ihren bionischen Lenker an den Lenker des Flagschiffs. Nun würden sie Zeit haben, bis die Armada den Zielplaneten erreichen würde, Zeit genug für eine intensive Verschmelzung. Die anderen Mitglieder der Hexade hatten sich bereits entsprechend aufgestellt und Sguun nahm seinen Platz in der Runde ein. Wie immer, übernahm das Weibchen die weitere Initiative und forderte die Übrigen auf, den Kontakt herzustellen. Sguun spürte, wie eine Welle der Ekstase seinen Körper durchlief. Sein Denken setzte aus und er gab sich ganz der Verschmelzung hin. Es war noch so viel Zeit.


* * *



Die Zentrale am "Very large Array" in Socorro war nicht mehr wieder zu erkennen. Im Gegensatz zu früher glich sie nun eher einem Bienenstock. Dr. Zoe Hammersmith war bereits seit vielen Stunden und etlichen Kaffees - Nat hatte eigens eine Kaffeemaschine aus einem der anderen Gebäude besorgt - dabei, die Signalketten zu entschlüsseln, die seit einiger Zeit empfangen wurden. Bisher hatte man die Öffentlichkeit noch nicht verständigt, um keine unnötige Panik zu verbreiten. Lyman hatte auch immer noch davor zurückgeschreckt, die Behörden zu verständigen. SETI war eine sehr sensible Angelegenheit. Sehr schnell konnte es geschehen, dass man ihnen den Geldhahn zudrehen würde, wenn man nun mit einer Falschmeldung aufwarten würde.
"Immer noch nichts?", fragte Lyman die Kryptologin Hammersmith.
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich habe es bereits mit allen nur denkbaren Algorithmen versucht, aber bisher will dieses Signal seinen Inhalt nicht preisgeben. Allmählich gehen mir die Ideen aus."
"Es ist euch aber auch klar, dass die Signale stärker werden?", fragte Nat. "Sie werden stärker und kommen immer noch aus dem Sternbild Skorpion. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn diese Signale nicht echt wären."
"Dann lass' uns darauf antworten", schlug Lyman vor, "wir können über unser Array auch senden. Wenn diese Fremden sich uns tatsächlich nähern, werden sie schnell begreifen, dass wir einen Kontakt herstellen wollen."
Hammersmith lachte.
"Was willst du ihnen denn senden?", fragte sie, "Wir begreifen ihre Sendungen doch auch nicht."
"Schicken wir ihnen doch einfach ihre eigene Sendung wieder zurück", schlug Lyman vor, "wir müssen sie nicht verstehen, doch sie werden verstehen, dass wir ihre Sendung als ihre erkannt haben. Dann werden wir sehen, was daraus wird."
"Gute Idee", gab Hammersmith zu, "Nat, könntest du das schnell hinbekommen?"
"Leute, Ihr habt den Besten hier an der Tastatur", meinte Nat grinsend und dehnte seine Finger, bevor er begann, auf seinem Keyboard herum zu tippen. Nach einiger Zeit stieß er sich von seiner Konsole zurück und rollte mit seinem Stuhl zur gegenüberliegenden Wand.
"Das war's", sagte er, "nun gilt es, zu warten, was sie tun werden."
Hammersmith schüttete sich einen weiteren Kaffee in ihre Tasse uns schlürfte ihn  vorsichtig.
"Was meint Ihr?", fragte sie, "Stehen wir bald wirklich fremden, außerirdischen Wesen gegenüber? Wir sind nicht mehr allein, Leute. Ich weiß aber nicht, was ich davon halten soll. Es gibt so viele Unsicherheitsfaktoren. Nun haben wir so lange danach gesucht und jetzt, wo wir wirklich etwas gefunden haben ..."
"Ich weiß, was du meinst", sagte Lyman, "mir geht es nicht viel anders. Warten wir es ab ..."

* * *

Unaufhaltsam näherte sich die Armada der Droon dem Planeten - vierundsechzig Großträgerraumschiffe, von denen jedes über viertausend bewaffnete Beiboote ausschleusen konnte. Jedes Beiboot war mit Laserkanonen und Projektilwerfern ausgestattet. Jedes der Trägerschiffe war bis an die Zähne bewaffnet. Niemand konnte einer solchen Macht widerstehen.
Voller Stolz betrachtete Sguun die Anzeigen der Außenbeobachtung und verfolgte den Aufmarsch der Armada, die sich auf den Angriff vorbereitete. Die Fremden auf dem kalten Planeten hatten lediglich dadurch reagiert, dass sie ihnen ihre eigene Sendung wieder zurückgeschickt hatten. Der Analysator in der "Eroberer" hatte errechnet, dass sie es möglicherweise mit Wesen zu tun hatten, die nicht intelligent genug waren, ihr Ultimatum zu entschlüsseln. Es würde daher wohl nur wenig Zeit kosten, sie zu unterwerfen. Bisher waren keine Abwehrmaßnahmen zu entdecken, keine Kampfraumschiffe, keine Basisforts mit Laserkanonen. Sie waren noch nicht einmal gescannt worden.
Ein Signal ertönte.
"Droon, es ist an der Zeit, eine weitere ruhmreiche Eroberung durchzuführen", ertönte die Stimme von Klesh aus dem Funkgerät, "Die Soldaten sollen sich bereit machen und die Beiboote besteigen. Wir werden in wenigen Einheiten zur Landung auf unserem Zielplaneten ansetzen. Ruhm und Ehre den Droon!"
Die Mitglieder der Hexade verteilten sich an den Bedienpulten der Zentrale und gaben die Anweisungen an die Soldaten weiter. Die Soldaten waren junge Droon ohne Mitgliedschaft zu einer Hexade. Es waren in der Regel Connectoren, denen noch nicht die Erlaubnis erteilt worden war, sich fortzupflanzen. Nach dem Sieg über die Fremden würde wieder einigen der Soldaten die Ehre zuteil werden, eine Hexade zu bilden. Dann würden einige von ihnen sich zu Weibchen, Männchen oder Denkern transformieren und für den weiteren Fortbestand ihrer Rasse sorgen dürfen - sofern sie den bevorstehenden Kampf überlebten.
Die "Unterwerfer" nahm gemeinsam mit den anderen Einheiten Fahrt auf und trat in die Atmosphäre des Planeten ein. Man hatte die Entscheidung getroffen, den Ausgangspunkt der Signale der Fremden anzusteuern, da man davon ausging, dort die Forderungen der Droon am besten durchsetzen zu können. Die Landung war im Grunde eine Routineangelegenheit. Die Gravitation des Planeten war vergleichsweise gering. Sguun fragte sich immer wieder, wie auf einer so trostlosen Welt überhaupt Leben entstehen konnte. Trotzdem gab es hier Leben. Als sie die tieferen Schichten der Atmosphäre erreichten, orteten sie zahlreiche, große,  fliegende Maschinen und sie befürchteten schon, dass der erwartete Angriff der Planetenbewohner nun erfolgen würde, doch die Maschinen nahmen von ihnen keine Notiz. Immer tiefer ging es hinunter, bis sie schließlich ihre Landezone erreichten: eine Ebene, in der gigantische Schüsseln in geometrischen Reihen aufgestellt waren. Wer baute solche irrsinnigen Konstruktionen? Sguun befürchtete, dass es sich bei diesen riesigen Anlagen möglicherweise um Abwerforts der Fremden handeln könnte, doch nichts geschah. Die Armada setzte schließlich in einem riesigen Feld zwischen den Schüsseln und einigen gigantischen Gebäuden auf, deren Bedeutung nicht zu erahnen war. Die Triebwerke der "Unterwerfer" schwiegen zum ersten Mal nach langer Zeit. Die Meldungen der anderen Schiffe trafen nach und nach ein und es war klar, dass alle Einheiten problemlos gelandet waren.
Sguun gab den Befehl an die Beibootstaffeln, sofort mit Erkundungsflügen zu beginnen und Aufnahmen von allen Anlagen zu machen, die sie finden konnten. Insbesondere Aufnahmen der Planetenbewohnern interessierten ihn. Sie mussten ihren Gegner kennenlernen, um ihn besiegen zu können. Mit leichter Erregung beobachtete er, wie wahre Schwärme von Beibooten aus den Hangars in den blauen Himmel des Planeten aufstiegen.


* * *

"Wisst Ihr was?", fragte Lyman, "Ich für meinen Teil habe für heute die Nase voll. Die Signale wurden erst immer stärker. Wir haben sie beantwortet und dann hörten sie unvermittelt auf. Vielleicht sind wir doch irgend jemandem auf den Leim gegangen, der sich nun die Hände reibt, weil er uns dumme SETI-Leute hereingelegt hat. Was haltet Ihr davon, wenn wir uns in die Kantine von Block D setzen und etwas trinken. Ich gebe einen aus."
"Wenn Dr. William Lyman ein solches Angebot macht, sollte man zugreifen", sagte Nat lachend, "denn wer weiß, ob man in den nächsten Jahren noch einmal in den Genuß eines solchen Angebotes kommen wird."
Zoe Hammersmith schaltete lachend ihren Computer in Standby und erhob sich.
"Wo er Recht hat, hat er Recht", sagte sie feixend und knippste Nat ein Auge, "ich könnte auch einen Drink vertragen."
"Wenn sich nun alle einig sind, dass ich ein geiziger Knochen bin, können wir ja gehen", sagte Lyman, leicht verstimmt.
Sie schalteten das Deckenlicht aus und verließen ihre Zentrale. Draußen war es noch heller Tag und die Kalifornische Hitze schlug ihnen entgegen. Es war kein weiter Weg zum Block D und sie entschlossen sich, ihn zu Fuß zurückzulegen. Nach einigen Metern sah Nat einen kleinen, schimmernden Ball auf dem Boden liegen. Ganz in Gedanken kickte er ihn mit dem Fuß und war überrascht, wie schwer diese kleine Kugel war.
"Was ist das für ein Ding?", fragte er und die anderen betrachteten es ebenfalls interessiert. Es war eine kleine Kugel, etwa von der Größe eines Handballs. Sie schimmerte silbern. Leichter Rauch schien aus winzigen Löchern in der Oberfläche zu entweichen.
Zoe Hammersmith schlug mit der Hand nach einigen Mücken, die sie umkreisten, doch je mehr sie danach schlug, umso mehr schienen es zu werden.
"Verdammt, seit wann plagen uns denn hier in der Wüste um diese Jahreszeit Mücken?", fragte sie ärgerlich, "Das ist ja unerträglich."
Nat hatte sich zu der kleinen Kugel gebückt und fasste sie an.
"Au!", rief er aus und zog seine Hand schnell wieder zurück, "Es ist, als wäre sie elektrisch geladen. Ich habe einen Schlag bekommen."
Er betrachtete seine Handfläche und entdeckte winzige Brandflecken darin.
"Was immer es ist, man kann es nicht einfach hier herumliegen lassen", sagte Lyman und griff zu seinem Mobiltelefon.
Er rief den Ordnungsdienst an und bat ihn, sich um das Problem zu kümmern.
"Da sind ja noch mehr von diesen Dingern!", rief Zoe aus und zeigte mit ihren Fingern auf weitere Kugeln, die in der Nähe herumlagen, "Sie müssen von irgend einem Laster gefallen sein."
Inzwischen wurde die Mückenplage immer schlimmer. Alle drei schlugen mit beiden Händen nur noch nach diesen Plagegeistern.
"Seid vorsichtig, die Biester beißen", sagte Nat, "mich haben eben einige davon gebissen."
Er betrachtete kritisch einige zerquetschte Mücken, die an seinem Arm klebten.
"Ich habe solche Viecher hier noch nie gesehen", sagte er und schnippste die Überreste der Mücken von seiner Haut.
Mittlerweile war der Wagen des Ordnungsdienstes eingetroffen und die Männer stiegen aus.
Auch sie schlugen sofort mit den Händen nach den angreifenden Tieren.
"Da soll mich doch ...", sagte einer von ihnen, "das habe ich ja noch nie erlebt. Sie hatten angerufen?"
Lyman deutete auf die vielen silbernen Kugeln, die überall herumlagen.
"Die muss jemand hier verloren haben", sagte er, "wir wissen nicht, was es ist, aber Nat Boeringer hat einen elektrischen Schlag bekommen, als er eine davon angefasst hatte. Wir können dieses Zeug hier nicht so einfach herumliegen lassen. Es wäre nett, wenn sie die Kugeln einsammeln könnten und sie sich im Lager noch einmal genau ansehen. Aber Vorsicht, wegen der elektrischen Ladung."
"Wir haben Handschuhe", meinte einer der Männer und griff nach der Kugel, die vor ihnen lag.
"Es kribbelt sogar durch den Handschuh", meinte er, "aber es lässt sich ertragen. Wir bringen die Dinger weg. Ich bin mal gespannt, wie sie von innen aussehen. Vielleicht ist es eine Art Batterie, so schwer, wie sie ist."
"Geben Sie mir später Bescheid, wenn Sie wissen, was es ist", sagte Lyman, "vielleicht bekommen wir ja heraus, wem sie gehören."

* * *



Die Mission stand unter keinem guten Stern. Die Aufklärer waren eben erst gestartet, als die Ortungsanlagen an Bord der "Unterwerfer" anschlugen und Alarm auslösten. Sguun und seine Hexadenpartner waren wie gelähmt, als sie sahen, was da aus einem der Gebäude auftauchte und sich auf die Armada zu bewegte. Drei gigantische Wesen bewegten sich auf Beinen, von denen jedes so dick war, wie die ganze "Unterwerfer". Die Wesen waren so hoch, dass sie bis in den Himmel zu reichen schienen. Es war nur schwer vorstellbar, dass eine solche Lebensform überhaupt lebensfähig war. Niemals in ihrer Geschichte hatten sie es mit Wesen solcher Größe zu tun gehabt.
Die ersten panischen Meldungen der Aufklärer trafen ein:
"... keine Chance gegen diese monströsen Kolosse ... vernichtet ...", war einer der vielen verstümmelten Meldungen der Beibootpiloten.
Die Fremden schlugen einfach mit ihren riesigen Extremitäten zu und zerstörten viele der Kämpfer noch in der Luft.
"Konzentrierter Angriff!", befahl die Stimme von Klesh über Funk, "wir müssen sie zurücktreiben oder vernichten!"
Ganze Wolken von Beibooten stürzten sich im Mute der Verzweiflung auf die Fremden, denen diese Bombardements und Laserattacken nur lästig zu sein schienen. Zu Hunderten wurden die eigenen Soldaten vernichtet. Zum ersten Mal dachte Sguun über einen Rückzug nach, hütete sich aber, diesen Gedanken laut zu äußern. Es hätte sowieso nicht funktioniert, da ihr bionischer Lenker mit dem auf dem Flagschiff gekoppelt war.
Die Katastrophe nahm ihren Lauf, als einer der Fremden die "Eroberer" erreichte und sie mit einem seiner Beine einfach wegschlug. Sguun konnte es nicht glauben. Ein Trägerschiff der Droon - einfach weggeschlagen. Die Ereignisse in der Funkanlage überschlugen sich. Die "Eroberer" musste es schwer erwischt haben. Einen solchen Schlag konnte auch ein gutes Dämpfungssystem nicht ohne Weiteres neutralisieren. Die empfindliche Technik des Schiffes musste extrem gelitten haben.
"'Eroberer', bitte melden!", rief Sguun, "Wie ist Ihr Status? Können wir helfen?"
Er fragte sich zwar, wie er in dieser Situation noch helfen sollte, doch musster er es wenigstens anbieten. Als Antwort erhielten sie lediglich ein raues Kratzen und Hilferufe, die durch das beschädigte Schiff hallten. Man musste davon ausgehen, dass die Führung der 'Eroberer' nicht mehr einsatzfähig oder am Leben war. Entsetzt sah er zu, wie der Fremde sich auf die 'Eroberer' herabsenkte - anders ließ es sich nicht ausdrücken, wie es wirkte, als sich dieses Monstrum nach unten bewegte und mit seinen Extremitäten nach dem Schiff griff. Es zuckte zurück, also waren nicht alle an Bord tot. Einige kämpften noch immer und feuerten mit den schweren Bordgeschützen, was das Zeug hielt. Der Fremde wurde jedoch nicht getötet - ganz im Gegenteil - er erhob sich wieder, als wäre nichts geschehen. Was waren das für Wesen, denen die Bordgeschütze eines Trägerraumschiffs nichts ausmachten?
"Wir sollten hier verschwinden", flüsterte Klethana, "solche Wesen kann man nicht besiegen."
Klethana sprach das aus, was Sguun nicht auszusprechen wagte. Zustimmend wippte er mit einigen seiner optischen Sensoren und gab den allgemeinen Startbefehl. Da Klesh offenbar nicht mehr lebte, fiel diese Aufgabe nun ihm zu.
"Es geht nicht!", rief Naados, der Connector von den Kontrollen her, "unser bionischer Lenker war auf die 'Eroberer' eingeloggt und wurde nicht mehr freigegeben. Wir können nicht ohne Weiteres starten. Es kann einige Einheiten dauern, bis ich diese Verbindung manuell getrennt habe."
Panik stieg in Sguun auf. Diese Zeit hatten sie nicht. Nach und nach erfuhr er von den übrigen Schiffen, dass sie alle das selbe Problem hatten. Dann erschien ein riesiges Fahrzeug, aus dem weitere dieser Monster kletterten. Sguun musste mit ansehen, wie ein Schiff nach dem anderen von diesen Wesen aufgehoben und auf das Fahrzeug geworfen wurde, worauf die Verbindung zum Schiff jeweils abriss. Dann war die 'Unterwerfer' an der Reihe. Es folgten eine Reine von heftigsten Erschütterungen. Sie wurden durcheinander geworfen und schlugen teilweise hart gegen die Einrichtung der Zentrale. Der bionische Lenker platzte an den Versorgungsanschlüssen auseinander und die biologische Masse ergoss sich in die Zentrale. Ein furchtbarer Gestank machte sich breit. Sguun konnte die Alarme nicht mehr zählen. Das Schiff war nicht viel mehr, als ein Wrack. Sein Blick wanderte zu Klethana, die leblos in ihrer Schutzhalterung hing. Ihre optischen Sensoren hingen schlaff herab. Er sah auf den ersten Blick, dass sie tot war. Seine Hexade war nicht mehr vollständig, doch was machte das jetzt noch?
Sguun verspürte Schmerzen in seinem Körper, doch er zwang sich, die wenigen, noch intakten Außenanzeigen zu beobachten. Inzwischen hatte dieses Fahrzeug sich bewegt und man hatte die Armada in einen riesigen Raum gebracht, der von künstlichen Sonnen erleuchtet wurde. Die 'Unterwerfer' wurde von einem Wesen ergriffen und transportiert. Auch, wenn die automatischen Waffensysteme noch funktionierten: Der Fremde hatte einen Schutz an seinen Extremitäten, der auch von Bordgeschützen nicht durchdrungen werden konnte. Es war aussichtslos. Das Schiff wurde in eine Vorrichtung eingespannt, die von zwei Seiten Druck auf die Schiffshülle ausübte. Ein bedrohliches Knacken der Hülle zeigte an, dass die Belastung bis an die Grenzen der Haltbarkeit ging. Das Entsetzen Sguuns steigerte sich noch, als der Fremde etwas schnell rotierendes hob und an die Hülle der 'Unterwerfer' hielt. Mit einem betäubenden, kreischenden Ton schnitt die rotierende Scheibe einfach ins Schiff hinein und zerteilte es in zwei Hälften. Die Technik versagte endgültig, doch das war nun egal, denn eine der Wände der Zentrale war endgültig verschwunden und Sguun, der sich nur noch mühsam bei Bewusstsein hielt, konnte nun mit seinen eigenen optischen Sensoren sehen, wie die Fremden aussahen. Einer von ihnen blickte in das Schiff hinein, griff dann nach einerm riesigen Zylinder und näherte diesen dem Schiff. Ein orkanartiger Sturm brach los und und eine Masse von flüssigem Aggregatzustand kroch in sämtliche Ritzen des Wracks. Sguun merkte, wie nacheinander alle seine optischen Sensoren unbrauchbar wurden und ihn die Kräfte verließen. Sein letzter Gedanke war, dass sie den Droon keine Ehre gemacht hatten. Dann starb er.

* * *

In der Kantine war es kühl und vor allem gab es hier nicht diese eigenartigen Insekten, die ihnen auf der Straße draußen so sehr zugesetzt hatten. Lyman griff nach seinem Mobiltelefon und rief beim Ordnungsdienst an:
"Lyman hier", meldete er sich, "ich wollte nur noch einmal nachfragen, ob Sie etwas über diese Kugeln herausgefunden haben."
Er hörte eine Weile zu, während Nat und Zoe ihn gespannt musterten. Als er auflegte, fragten sie:
"Und? Können Sie schon etwas sagen?"
"Sie haben die Dinger auf den Wagen geladen und erst einmal in die Werkstatt gefahren", erklärte er, "dabei mussten sie peinlich darauf achten, Handschuhe zu tragen, da sie sonst ständig einen Schlag bekommen hätten. In der Werkstatt hat einer der dortigen Kollegen eine der Kugeln in einen Schraubstock gespannt und mit einer Flex geöffnet."
"Und was war drin?", fragte Nat.
"Das ist ja das Eigenartige. Das Innere dieser Kugel war in winzigste Kammern aufgeteilt - so ähnlich, wie Waben. Sie war voll von irgendwelchem Ungeziefer. Sie haben es mit Insektiziden besprüht, damit die Viecher nicht überall herumkrabbeln. Anschließend haben sie auch den ganzen Rest der Kugeln aufgeschnitten - überall dasselbe: Waben und Ungeziefer. Er meinte, wir können sicher sein, dass er alle erwischt hat. Wäre ziemlich eklig gewesen. Die Kugeln haben sie auf den Schrott geworfen."
"Hmm, was machen wir jetzt?", fragte Nat.
"Was sollen wir schon machen?", fragte Lyman, "Erst veralbert uns jemand mit angeblich außerirdischen Signalen, die auf einmal verschwinden, dann legt uns jemand Behälter mit Ungeziefer vor das Institut. Ich bin nicht bereit, mich von solchen Aktionen beeindrucken zu lassen. Es wäre sicher schön gewesen, wirklich Kontakt zu außerirdischem Leben zu bekommen, doch vielleicht sind wir ja wirklich allein hier in diesem Universum - wer weiß."
"Also suchen wir weiter", schloss Zoe das Gespräch und erhob sich.
"Wenn ich den Kerl erwische, der uns diese Streiche gespielt hat, kann er 'was erleben", sagte Lyman, während sie durch die heiße Wüstenluft wieder zu ihren Arbeitsplätzen zurückliefen.