8. 2006UB

8.3 Annäherung


Zwei Millionen Kilometer sind eine beachtliche Strecke, wenn man sie mit einer Raumfähre zurücklegen muss. Für den Weg hatte man sechzehn Tage veranschlagt, sodass die Buran über einen Monat lang nicht in der Nähe des Mondes sein würde.
Das Leben an Bord wurde allmählich zur Routine und es machte sich eine gewisse Langeweile breit, die nur durch die häufig erforderlichen Kurskorrekturen unterbrochen wurde. Jan hatte nach ein paar Tagen entschieden, Stancu wieder aus seiner Haft zu entlassen, wenn er sich anständig benahm. Der rumänische Wissenschaftler hatte viel Zeit gehabt, über alles nachzudenken und versprach, die Anweisungen von Gheorghe Papu nicht weiter zu beachten. Im Grunde war er ein Wissenschaftler, der jedoch durch die frühere Indoktrinierung durch staatliche Erziehung anfällig für Befehle seitens der Geheimdienste war. Man streifte die politische Prägung der Jugend eben nicht so einfach ab.
Die übrigen Wissenschaftler gingen auf Distanz zu Stancu, was der Crew Recht war, da Stancu dadurch unter ständiger Beobachtung durch die restlichen Passagiere stand.
Der Kontakt zum Mond wurde nach und nach immer spärlicher, da die Verzögerung in den Gesprächen durch die große Entfernung störender wurde. So beschränkte man sich auf die Routinemeldungen über den Status der Mission. Bisher hatte es keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben. Doch nun wurde das Leben interessanter, denn 2006UB war bereits in Reichweite der optischen Beobachtung. Obwohl der Asteroid kein Licht aussandte, reflektierte seine Oberfläche dennoch Restlicht der Sonne und konnte mit Hilfe von Restlichtverstärkern sichtbar gemacht werden.
Die Wissenschaftler waren von den Monitoren nicht mehr wegzubekommen. Ständig machten sie Schnappschüsse des Bildschirms und speicherten die Daten ab.
»Schade, dass wir noch keine Möglichkeit haben, den Laser einzusetzen«, meinte vanBuren. »Dann könnten wir endlich beginnen, die Spektralanalysen durchzuführen.«
»Wir nähern uns dem Asteroiden mit jeder Stunde«, sagte Isabella. »Ich halte es für keine gute Idee, bereits aus dieser Entfernung mit Lichtbeschuss zu beginnen. Bald werden wir unsere letzte Anpassung durchführen müssen. Danach machen wir uns Gedanken über ein Ankopplungsmanöver. Ich denke, Sie sollten sich gedulden, bis wir wirklich gute Arbeitsbedingungen haben.«
»Dem kann ich mich nur anschließen«, stimmte Jan zu. »Sie können beobachten, so viel Sie wollen, aber wir werden erst landen und dann arbeiten.«
»Jan, du solltest dir mal die Vergleichswerte ansehen«, sagte Gina. »Ich hab sie dir auf deinen Rechner geladen. Meiner Meinung nach sollten wir bald etwas beschleunigen, sonst wird uns 2006UB in zwei Stunden überholen.«
»Lass ihn noch aufholen«, entschied Jan. »Ich werd das Problem angehen, wenn es so weit ist. Ich denke, wir werden die Buran dann auf Sicht fliegen und uns auf seine Oberfläche bringen.«
Pelle verzog skeptisch das Gesicht. »Hältst du das wirklich für gut? Ein gut vorbereiteter Computer kann schneller reagieren, als du es kannst.«
»Das stimmt schon, aber wir wissen bisher noch überhaupt nichts über die Oberfläche des Asteroiden. Ich möchte nicht von einem Programm auf einem Himmelskörper gelandet werden, dessen Oberfläche eine Landung überhaupt nicht zulässt. Ich will die Kontrolle nicht aus der Hand geben, selbst entscheiden zu können, wie wir uns verhalten.«
Eva machte ebenfalls ein skeptisches Gesicht. »Ich hoffe, du überschätzt nicht deine Fähigkeiten.«
»Jetzt hört auf!«, rief Jan. »Ich hab stundenlang immer wieder geübt und schon das Gefühl, die Buran wäre ein Teil von mir. Vertraut mir! Ich kann das!«
Loma und Kaya sahen von einem zum anderen und wussten nicht, was sie von der Situation halten sollten.
»Sie schaffen das«, sagte ausgerechnet Stancu. »Sie haben uns bis hier hergeflogen, Sie werden auch das kurze Stück bis zur Oberfläche von 2006UB schaffen.«
Wenige Stunden später war es dann so weit. Auf dem Radar und in der optischen Beobachtung war zu erkennen, dass sich der Asteroid näherte. Seine relative Geschwindigkeit war noch deutlich höher als die der Buran. Inzwischen verdeckte der Schatten des Asteroiden bereits einen Teil der dahinter liegenden Sterne.
»Objekt ist auf Kollisionskurs«, meldete Gina. »Wir sollten ausweichen.«
»Okay!«, rief Jan, während er die Verschlüsse seines Sicherheitsgurtes einrasten ließ. »Bitte schnallen Sie sich an, wir werden nun sehen, was dieser Steinklumpen für uns bereithält.«
Jan aktivierte die Kontrollen der Triebwerke und griff an die Steuerknüppel. »Isabella, wie ist der Vektor?«
»Vektor ist okay. Kann so bleiben.«
Jan ließ das Haupttriebwerk zünden und beschleunigte die Buran, bis sie sich der Relativgeschwindigkeit des Asteroiden weitgehend angeglichen hatte. Gleichzeitig verlagerte er die Bahn der Fähre mithilfe der Steuerdüsen, um Raum zwischen sich und das Ziel zu bringen. Quälend langsam schob sich der Asteroid unter ihnen durch. Der Abstand zum Ziel betrug höchstens zweihundert Meter.
»Bodenkamera!«, befahl Jan. »Pelle, gib uns ein Bild.«
»Da ist nicht viel zu sehen. Ich weiß nicht, wie du da eine Entscheidung über einen Landeplatz treffen willst.«
»Nimm alles, was wir haben: Infrarot, Restlicht, Radar. Ich will ein gutes, analoges Bild.«
Pelle hantierte eine Weile, dann war er zufrieden. »Ich hab alles kombiniert und lass es von der Software rendern. Es ist zwar kein echtes, analoges Bild, aber es zeigt zutreffend die Bodenbeschaffenheit.«
Sie konnten sehen, wie sich der Boden langsam unter ihnen wegdrehte.
»2006UB rotiert um seine Längsachse«, stellte Gina fest. »Das macht es uns auch nicht eben leichter.«
Jan stieß zischend seinen Atem aus und konzentrierte sich voll auf die Monitore, die ein Abbild des Bodens unter ihnen zeigten. Er ließ ein paar Markierungen einblenden, die ihm exakt zeigten, wo sie sich befanden. Vorsichtig begann er, die Buran in eine sanfte Seitenbewegung zu zwingen, um einen relativen Stillstand gegenüber dem Boden zu erreichen. Da der Asteroid keine ausreichende Anziehungskraft entwickelte, um die Buran in eine Kreisbahn zu zwingen, musste Jan alle Steuertriebwerke einsetzen, um zu verhindern, sich wieder vom Ziel zu entfernen. Vorsichtshalber ließ er die Landekufen ausfahren, um sich damit nicht mehr auseinandersetzen zu müssen.
Der Boden unter ihnen machte einen soliden Eindruck. Warum noch länger suchen? Am Besten verankerte er die Buran gleich hier. Langsam reduzierte er den Bodenabstand und justierte immer wieder die Seitenbewegung nach. Die projizierte Markierung half ihm bei der Orientierung. Nach über zwei Stunden war es endlich so weit und die Kufen bekamen Kontakt auf der Oberfläche von 2006UB. Jan ließ die Steuerdüsen noch laufen, um nicht zu riskieren, den Kontakt wieder zu verlieren.
»Bodenanker abschießen!«, befahl er.
Pelle klappte einen kleinen Deckel auf seiner Konsole zurück, worunter mehrere Tasten waren. Von hier aus wurden kleine Bodenanker aus den Landekufen in den Grund geschossen. Die spezielle Form dieser Anker sorgte dafür, dass sie nur mit extremer Kraft wieder zu lösen waren. An den Ankern waren Halterungen für stabile Stahlseile, mit deren Hilfe die Buran nun dauerhaft fixiert werden konnte.
Pelle drückte die Tasten, worauf ein fernes Donnern ertönte. Sekunden später meldete er: »Anker gesetzt und belastbar. Die Buran ist fixiert. Wir sind auf 2006UB gelandet.«
Jan schaltete alle Triebwerke ab und drehte sich zu den anderen um. »Das war's, meine Damen und Herren. Wir sind am Ziel. Nun müssen unsere Herren Wissenschaftler entscheiden, wie es weiter geht.«