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8. 2006UB
8.1 Start zum Asteroiden
Sie hatten schnell begriffen, dass sie nur wenig Zeit hatten, sich und die Buran auf die bevorstehende Aufgabe vorzubereiten. Täglich flogen sie bereits am frühen Morgen zur russischen Raumfähre hinauf und arbeiteten den ganzen Tag wie besessen daran, dass auch alles so funktionierte, wie sie es erwarteten. Die Technik war nicht in allen Bereichen auf dem aktuellsten Stand. Schließlich war das Schiff eine Konstruktion der Achtziger Jahre, die lediglich von der ukrainischen Raumfahrtbehörde überarbeitet worden war, doch das, was eingebaut war, funktionierte auch zuverlässig. Man spürte, dass die Einrichtungen noch nicht oft benutzt worden waren. Im Grunde war die Buran ein neues Schiff.
Jan und Isabella hatten sich dafür starkgemacht, dass auch Pelle und Gina Daccelli einen Platz in der Asteroiden-Mission erhielten. Pelle hatte während seines Studiums immer mehr seine Neigung zum Bordtechniker entdeckt und hatte auch bereits einige praktische Einsätze mitgemacht, bei denen seine Ausbilder äußerst zufrieden mit ihm gewesen waren. Gina hatte sich zwar nicht endgültig festgelegt, beherrschte aber Ortungs- und Funkanlagen meisterhaft. Also hatte man ihr angeboten, diesen Platz in der Buran zu übernehmen. Beide hatten sofort zugegriffen und hielten sich nun häufiger in der Buran auf als auf dem Mond. Besonders freute es sie, endlich einmal eine Mission gemeinsam durchführen zu können.
Es blieben zwei Tage, dann mussten sie starten, wenn ihnen noch ein Rendezvous mit dem Asteroiden gelingen sollte. Geplant war eine asymptotische Annäherung an die Flugbahn des Asteroiden 2006UB, der in etwa zwei Millionen Kilometern das System Erde-Mond passieren würde. Wenn alles günstig verlief, sollte eine Gruppe von Wissenschaftlern versuchen, auf seine Oberfläche zu gelangen, um dort Proben zu entnehmen. Nach einem Aufenthalt von höchstens vierundzwanzig Stunden würden sie sich auf den Rückweg machen müssen, da sie sich sonst zu weit von Erde und Mond entfernen würden.
Inzwischen waren alle vorhandenen Tanks der Buran gefüllt und das Schiff grundsätzlich startbereit. Isabella hatte ursprünglich geplant, die wichtigsten Elemente der Navigationssoftware in die englische Sprache zu übertragen und im Quellcode zu ändern, doch hatte sie das bald wieder verworfen. Es hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen – Zeit, die sie nicht hatten. So konnte dann ausschließlich sie selbst an dieser Konsole arbeiten. Oleg Velyky hatte man leider nicht für eine Teilnahme an der Mission begeistern können. Er hatte es vorgezogen, seinen Dienst auf dem Mond oder im mondnahen Orbit zu verrichten.
Eva Terbuer kam von Zeit zu Zeit vorbei, um sich vom Fortschritt der Vorbereitungen ein Bild zu machen. Sie zeigte sich beeindruckt, was sie in der kurzen Zeit alles unternommen hatten, um das Schiff einsatzbereit zu machen. Jan und Isabella genossen es ebenfalls, diesen Einsatz gemeinsam zu machen und stellten fest, dass sie sich auch dienstlich verstanden, was ja nicht unbedingt selbstverständlich war. Auch Pelle und Gina kamen gut miteinander aus, obwohl Gina häufig genug betonte, dass es nur deshalb so war, weil sich ihre Arbeitsbereiche nicht überschnitten.
Am Tag des Starts wurde es hektisch an Bord der Buran, als die Wissenschaftler eintrafen und einen Haufen Ausrüstung mitbrachten, der vorher nicht abgesprochen war.
»Herr Kaya, wir sind in den Möglichkeiten hier etwas begrenzt«, sagte Jan. »Dieser Bumper kommt mir nicht an Bord.«
»Als Geologe bestehe ich darauf, dass dieses Gerät an Bord ist«, beharrte Kaya. »Es ist die einzige Möglichkeit, eine Tiefenanalyse des Himmelskörpers durchzuführen.«
Jan schüttelte den Kopf. »Sie verstehen das nicht. Der Treibstoff in der Buran ist berechnet worden für die Passagiere, Lebensmittel und Wasservorräte, sowie für die angemeldete Ausrüstung. Dieses Monstrum dort draußen im Shuttle macht eine komplette Neuberechnung und Versorgung erforderlich. Das kostet Zeit, die wir nicht mehr haben. Wenn wir mit 2006UB zusammentreffen wollen, dürfen wir nicht länger warten. Wir müssen dringend starten. Die Maschine bleibt hier auf dem Mond.«
Erkan Kaya, der Geologe aus Istanbul, machte ein säuerliches Gesicht, sah aber ein, dass er auf diesen Ausrüstungsgegenstand definitiv verzichten musste.
Jan bat nun die Passagiere, sich auf den Konturliegen anzuschnallen, da in Kürze mit dem Start zu rechnen sei. Eva half den Männern, die nicht so viel Erfahrung hatten, beim Befestigen der Gurte und schnallte sich dann selbst fest. Die Daten für den Start befanden sich im Computer. Es fehlte nur noch die Freigabe durch die Zentrale der Raumkontrolle der Akademiestation.
»Hallo Raumkontrolle«, rief Jan über Funk. »Die Buran ist startbereit. Das erste Fenster für den Start beginnt in zwei Minuten. Ich erbitte Starterlaubnis für Mission 2006UB.«
»Starterlaubnis erteilt, Buran«, drang es aus dem Lautsprecher. »Viel Erfolg. Wir erwarten ihre nächste Routinemeldung.«
»Danke Raumkontrolle! Die Zündung wird eingeleitet.«
Jan gab Isabella ein Zeichen, die darauf hin die Schalter für den automatischen Start drückte. Sie hatten sich darauf verständigt, die vorbereiteten Szenarien zu verwenden und dem Computer den Start zu überlassen.
Aus dem Lautsprecher ertönte ein akustischer Countdown: »Desjatch, dewjatch, wosjem, ...«
»Selbst das ist russisch«, murmelte Jan. »Ich werd das vollständig überarbeiten müssen.«
»... tschetirje, tri, dwa, adin.«
Im nächsten Augenblick erwachte das große Haupttriebwerk zum Leben und sie spürten, wie sie in die Sitze gepresst wurden. Es war jedoch nicht so heftig wie ein Start von der Erde, da die Fluchtgeschwindigkeit des Mondes viel geringer war, als die der Erde. Die Buran musste daher nicht so stark beschleunigt werden. Man hatte sich entschlossen, dem Asteroiden zunächst etwas entgegenzufliegen, um dann allmählich den Richtungsvektor der Buran der Flugbahn von 2006UB anzupassen.
»Gibst du mir mal die Daten von diesem Asteroiden rüber?«, bat Jan.
Isabella reichte ihm einen Klemmblock, auf dem sie die wichtigsten Daten handschriftlich eingetragen hatte.
Jan staunte, als er die Größenangaben las. »Meine Güte, der hat ja eine Länge von über einhundertachtzig Kilometern! Wenn der den Mond oder gar die Erde treffen würde, wär es eine Katastrophe.«
»Es wäre das Ende unserer Zivilisation«
»Wie lange wird es dauern, bis wir in eine Umlaufbahn um 2006UB einschwenken werden?«, fragte Erkan Kaya.
»Wir werden überhaupt nicht in eine Umlaufbahn gehen«, erklärte Isabella. »2006UB entwickelt nicht genügend Gravitationskräfte, die uns in einer Kreisbahn halten könnten. Er ist zwar recht groß, aber um einen Brocken wie die Buran festzuhalten, braucht es schon etwas mehr. Wir werden versuchen, auf dem Fels zu landen und uns zu verankern, bis wir wieder starten. Ob es gelingt, werden wir sehen. Noch fehlen uns Bilder von der Oberfläche.«
»Heißt das etwa, dass wir vielleicht überhaupt nicht landen werden?«
»Wie ich schon sagte, es hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab. Wenn die Oberfläche zu zerklüftet ist, werden wir uns eine andere Lösung ausdenken müssen.«
»Wie lange müssen wir uns eigentlich in diesen Kontursesseln aufhalten?«, fragte der Geologe Stancu, von der Geological Society in London. »Ich würde mich gern etwas bewegen.«
»Solange wir in der Beschleunigungsphase sind, bleiben Sie bitte alle angeschnallt!«, rief Jan nach hinten. »Ich möchte nicht, dass jemand von Ihnen sich den Kopf stößt, wenn er wegen der ungewohnten Gewichtsverhältnisse irgendwo aneckt.«
Es folgten noch einige kleinere Beschleunigungsmanöver, dann war die Buran endlich auf ihrem vorläufigen Kurs, der erst nach einigen Tagen korrigiert werden musste.
»Es ist schon was anderes, ob man innerhalb des Erde-Mond-Systems navigieren muss, oder ob man es verlässt«, sagte Jan. »Es fällt ungleich schwerer, das Bezugssystem quasi von außen zu betrachten.«
»Na, ich finde, du warst bisher richtig souverän«, lobte Isabella. »obgleich – ich hätte es nicht anders gemacht.«
Jan grinste, als er zu seiner Kopilotin hinübersah, die ihn mit blitzenden Augen anblickte.
»Jan hat ein unglaubliches Gespür für die Vorgänge hier im All«, meinte Eva von ihrem Sitz aus, von dem sie sich eben losschnallte. »Ich möchte deine Fähigkeiten in keiner Weise schmälern, Isabella, aber Jan ist uns allen darin noch ein Stück überlegen. Deshalb hat er das Kommando über die Buran erhalten.«
»Ich neide es ihm nicht, falls du das glaubst. Ich bin schon froh, endlich mal mit meinem Freund zusammen fliegen zu können.«
Jan wandte sich zu den Wissenschaftlern um. »Sie können sich abschnallen und innerhalb dieses Raumes frei bewegen. Nur, wenn Sie nach hinten in die Ladezone möchten, bitte ich darum, dass Sie sich bei mir abmelden.«