1. Florida

 

1.3 Das Warten - Teil 3/4

Jan setzte sich zu Pelle und blickte sich um. »Wo ist eigentlich unser Japaner?«
»Tako Takoshi?« Pelle zuckte mit den Achseln. »Ist sofort in seinem Zimmer verschwunden und bisher nicht wieder erschienen. So wie Ihr.«
»Bin ich nun hier oder nicht?«
»Mensch Jan, ich will dich doch nur ein wenig hochnehmen. Reagier nicht immer gleich so empfindlich.« Pelle sah Jan von der Seite an. »Und?«
»Was und?«
»Na, seid Ihr jetzt zusammen? So wie ihr euch gegenseitig anschaut ...«
Jan schlug sich mit beiden Händen auf seine Knie. »Herrgott noch mal! Kennt ihr alle eigentlich kein anderes Thema mehr? Ich mag sie, wenn du das meinst. Wir haben einen Moment zusammengesessen und uns unterhalten. Isabella genießt es einfach, dass sie jetzt endlich mal ungezwungen mit jemandem reden kann. Bisher hatte sie ja immer gleich ihren Gorilla im Nacken.«
Pelle blickte ihn schief von unten an. »Du bist dir aber sicher, dass da nicht mehr ist? Du musst dir nämlich darüber im Klaren sein, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass sowohl du, als auch Isabella auf den Mond kommen wird. Es lohnt sich sicher nicht, wenn du dich dafür weit aus dem Fenster lehnst.«
»Wer sagt denn, dass ich das tue?«, fragte Jan genervt. »Du bist es doch, der immer davon anfängt - nur, weil ich mich mit einem Mädchen unterhalte.«
»Jan, ich will dir doch gar nichts. Du bist mein Freund und ich würde es nicht gern sehen, wenn sie dich so sehr ablenkt, dass du den Test nicht bestehst. Ich weiß doch, dass dieser Job dein Traum ist.«
»Wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja alle drei auf den Mond.«
Pelle sah ihn gespielt verständnisvoll an. »Jetzt drehst du wohl vollkommen durch, oder? Hörst du dich eigentlich selbst reden? Die Chance, dass so was eintritt, kann ich nicht einmal berechnen.«
Jan winkte ab. »Ach, hör mir einfach nicht zu. Vielleicht sollte ich erst mal meine Sachen auspacken und mein Zimmer einrichten.«
Er erhob sich und ging zu seinem Zimmer.
Pelle schaute ihm hinterher. »Hoffentlich packt der das und lässt sich nicht zu sehr ablenken.«
»Das hat er sich dann selbst zuzuschreiben«, sagte Jon.
Pelle zog eine Grimasse. »Ach, halt doch einfach dein dummes Maul

Jans Zimmer war fast identisch mit Isabellas Zimmer, nur dass es seitenverkehrt angelegt war. Mitten im Raum standen ein Koffer und eine Reisetasche. Er nahm sie, stellte sie auf sein Bett und begann, sie auszupacken. Da er einen sehr geräumigen Schrank hatte, gab es keine Probleme, seine wenigen Sachen zu verstauen. Zufrieden blickte er sich um und fand, dass es nun recht gemütlich aussah. Er fragte sich allerdings, wie lange er sich wohl hier aufhalten würde. Die Tank-Prüfung konnte jederzeit beginnen.
Er ließ sich rückwärts aufs Bett fallen und streckte sich ausgiebig. Zumindest das Bett war sehr bequem. Man hatte wirklich keine Kosten und Mühen gescheut, ihnen hier eine kleine Wellness-Oase zu bieten. Jan war schläfrig geworden und wäre beinahe eingeschlafen, als es an seiner Tür klopfte. Er fuhr erschreckt hoch. »Ja? Herein?«
Die Tür öffnete sich einen Spalt und Isabella schaute herein. »Oh, ich wollte nicht stören. Wenn du dich hinlegen möchtest, kann ich auch später noch einmal vorbeischauen.«
»Nein, nein, du störst überhaupt nicht«, beeilte sich Jan, zu sagen. »Komm nur herein.«
Zögernd trat sie ein und blickte sich kurz im Raum um. »Dein Zimmer ist fast genau wie meines - nur seitenverkehrt.«
Jan sah sie nur schweigend an. Er wusste nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte.
Isabella schien die Situation peinlich zu werden. »Ich kann auch später noch einmal ...«
»Nein bitte bleib. Setz dich doch.«
Sie griff sich den Stuhl, der vor einem kleinen Schreibtisch stand, und setzte sich ihm gegenüber verkehrt herum auf den Stuhl, ihre Arme auf die Lehne gestützt. »Ich fand es vorhin etwas unglücklich. Als du weg warst, hätte ich mich ohrfeigen können. Da hatte ich endlich mal einen Gesprächspartner ... und dann ... ach, ich weiß auch nicht.«
»Wir sollten vielleicht einfach noch einmal von vorn anfangen«, schlug Jan vor und hielt ihr seine Hand hin. »Jan Lückert.«
Isabella grinste und griff zu. »Isabella Grimadiu, angenehm.«
Beide mussten lachen und die Atmosphäre lockerte sich zunehmend.
»Was war da eigentlich vorhin im Gemeinschaftsraum?«, fragte sie. »Es klang nach einem Streit.«
»Ach, das war dieser blöde Engländer. Er provoziert, wo er nur kann und macht ständig anzügliche Anspielungen. Wäre Pelle nicht dazwischengegangen, hätten wir uns vermutlich geprügelt. Es hätte mir nicht einmal leidgetan.«
»Anzügliche Anspielungen?«
»Ach, dauernd betitelt er mich als Romeo oder uns beide als tragisches Pärchen.«
Isabella schüttelte den Kopf. »Wie kommt der denn auf so einen Quatsch? Vielleicht sollte ich ihm den Kopf auch noch einmal zurechtrücken.«
Jan winkte ab. »Lass es! Bei dem ist Hopfen und Malz verloren. Ich hab auch keine Lust mehr, mich weiter darüber zu unterhalten.«
»Worüber möchtest du dann reden?«
»Zum Beispiel, warum man dich erst hierher schickt, um die Einstellungstests zu bestehen, aber dann einen Mann vom Geheimdienst auf dich ansetzt.«
Sie richtete sich auf ihrem Stuhl auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
»Wo soll ich da anfangen?«
»Am Anfang war der Wasserstoff.«
Sie sah ihn irritiert an. »Was?«
Jan winkte ab. »Vergiss es! Ich sage manchmal Dinge, die andere nicht verstehen können. Erzähl einfach.«
»Nein, ich möchte erst wissen, was du eben meintest.«
»Okay. Es gab einen Wissenschaftler und Schriftsteller, Hoimar von Ditfurth. Er schrieb ein Buch über die Entstehung des Universums, wie wir es kennen. Es trug den Titel ›Am Anfang war der Wasserstoff‹. Ich wollte nur damit sagen, dass du ganz vorn beginnen sollst. Tut mir leid, wenn ich manchmal in solche Floskeln verfalle.«
»Danke, Herr Dozent.« Isabella grinste ihn an. »Hoimar von Ditfurth ist mir durchaus ein Begriff.«
Jan war es plötzlich peinlich. »Entschuldige, aber zu Hause in Deutschland bin ich, was meine Interessen angeht, ein Exot. Die meisten meiner Bekannten kommen mit meinen Sprüchen oft nicht klar. Ich wollte wirklich nicht den Oberlehrer herauskehren.«
Isabella lachte spitzbübisch. »Wenn du es tust, werde ich dich wohl bremsen müssen. Du willst also wissen, wie ich zu diesem ... Bodyguard komme.«
Jan nickte.
»Rumänien wollte unbedingt in der Raumfahrt-Akademie vertreten sein und hat in internen Tests nach Kandidaten gesucht, die eine Chance haben, die Auswahlverfahren zu bestehen. Ich wurde aus vielen Tausend Schülern herausgefiltert und davon in Kenntnis gesetzt, dass es meine Bürgerpflicht wäre, mich für die Akademie zu bewerben. Ich muss zugeben, dass ich anfangs überhaupt nicht wollte. Der Geheimdienst tauchte schon damals bei uns auf und machte deutlich, dass meine Eltern und meine Schwester Nachteile haben könnten, wenn ich nicht freiwillig eine Bewerbung an die Akademie sende. Ich gab dem Druck nach und tat, was man mir sagte. Als ich tatsächlich eingeladen wurde, zur NASA zu kommen, stellte man mir Gheorghe Papu zur Seite - zu meinem Schutz, wie man mir erklärte. In Wahrheit sorgt er nur dafür, dass ich nicht aus der Spur laufe. In meiner Freizeit unterrichtet er mich stundenlang in rumänischer Geschichte und Politik. Ich kann es nicht mehr hören.«
»Er bereitet dich systematisch darauf vor, in Zukunft als rumänische Agentin für den Geheimdienst zu arbeiten«, vermutete Jan.
»Ich denke, das ist sein Ziel, doch bisher hat er mich noch nicht so weit. Keine Ahnung, wie lange ich dieser Gehirnwäsche widerstehen kann. Selbst wenn ich auf dem Mond wäre, hätten sie noch immer meine Familie als Druckmittel. Vielleicht sollte ich besser im Tank scheitern und nach Hause zurückkehren.«
Jan schüttelte entschieden den Kopf. »Das halte ich für falsch. Glaubst du, sie würden euch in Ruhe lassen, wenn du jetzt scheiterst? Wahrscheinlich würden sie dir unterstellen, das Ergebnis manipuliert zu haben und euch deshalb mit Sanktionen bestrafen. Außerdem hast du eine echte Chance, es zu schaffen, Isabella.«
»Warum gibst du dir so viel Mühe, mir Mut zu machen? Ich bin deine Gegnerin - wie alle anderen hier auch.«
»Mitbewerberin vielleicht. Gegnerin? Nein! Irgendwie sehe ich dich auch als eine Freundin. Wir sitzen doch hier ganz nett beieinander. Ich möchte zwar die Tests bestehen, aber ich will nicht gegen dich kämpfen. Bei diesem Test kann niemand manipulieren. Hier punktet nur der Beste. Wenn du besser bist als ich, hast du es auch verdient, zum Mond zu fliegen. Ich mag dich und da kann es doch nicht schaden, dir ein wenig Mut zu machen.«
Isabella lächelte. »Du bist süß, Jan, aber meinst du nicht, dass du es dir zu einfach machst? Wir sitzen jetzt beieinander und verstehen uns. Aber wenn die Fahrkarten verteilt werden, wird vermutlich nur einer von uns dabei sein - wenn überhaupt. Ich glaube nicht, dass wir das dann auch noch so locker sehen können. Reden wir lieber über was anderes.«
»Das ist noch nicht raus!«, meinte Jan trotzig. »Lass uns einfach beide kämpfen und versuchen, die Fahrkarte zu bekommen. Vielleicht fällt uns ja etwas ein, wie man die Zeit im Tank überstehen kann. «
Isabella blickte auf ihre Armbanduhr. »Bevor wir uns darüber weitere Gedanken machen, würde ich eigentlich gern etwas essen. Ich habe einen Bärenhunger.«
»Wie spät ist es denn?«
»Muss dein Magen erst wissen, wie spät es ist?«, lachte Isabella. »Nach acht. Es ist bereits dunkel draußen.«
Leise vernahmen sie eine Türklingel.
»Hat da jemand geklingelt? Jetzt?« Jan erhob sich, doch Isabella hielt ihn am Arm fest.
»Pelle und Jon sind doch bestimmt im Aufenthaltsraum. Sie können nachsehen, wer es ist.«
Einen Moment später flog unvermittelt die Zimmertür auf und Jon stürmte herein.
Jan spürte, wie Wut in ihm aufkeimte. »Jon, bist du eigentlich noch zu retten, hier so hereinzuplatzen?«
»Es geht los! Sie haben Pelle geholt! Scheiße!«
Er wollte wieder hinauslaufen, doch Jan sprang auf und hielt seinen Arm fest. »Moment! Was erzählst du da?«
»Es hat geklingelt und ich hab nachgeschaut, wer um diese Zeit noch vorbeischaut. Da stand ein Angestellter von der NASA und er nannte einfach nur Pelles Namen.« Er sah hektisch von einem zum anderen. »Es hätte auch mich treffen können!«
»Was weiter?«, forderte Jan.
»Vielleicht würde ich dann bereits ...«
Isabella rollte mit den Augen. »Mensch Jon, jetzt nimm dich zusammen! Was ist mit Pelle?«
Jon atmete ein paarmal tief durch. »Er musste sofort mitgehen. Er durfte sich nicht einmal verabschieden oder seine Sachen mitnehmen. Das Ganze dauerte nur wenige Augenblicke. Mein Gott, ich könnte der Nächste sein.«
»Jetzt mach dir nicht gleich ins Hemd!« Isabella schüttelte ihn leicht. »Warum sind wir denn hier? Wir wollen alle auf den Mond, oder nicht? Dieser Test kommt auf uns alle zu. Was soll also diese Panik?«
Er beruhigte sich allmählich wieder und sein Gesichtsausdruck zeigte die bekannte Überheblichkeit. »Genau. Wir wollen auf den Mond, aber Ihr werdet nicht dabei sein, weil Ihr euch einfach nicht beherrschen könnt und ausgerechnet jetzt etwas miteinander anfangt.«
Er drehte sich um und ging zurück in den Gemeinschaftsraum. Jan und Isabella blickten ihm verständnislos hinterher.
Jan tippte sich an die Stirn. »Das glaub ich jetzt nicht. Der hat sie doch nicht mehr alle.«
»Ich kann ihn zwar nicht leiden, aber irgendwie tut er mir auch leid. Hinter dieser ganzen Überheblichkeit versteckt er auch nur seine Unsicherheit.«
Jan schüttelte den Kopf. »Mir tut er nicht leid. Er hat - bei allem Stress - nicht das Recht, auf uns herumzutrampeln. Nervös und unsicher sind wir alle. Diese ständigen Anspielungen machen mich wirklich wütend.«
»Ich habe Angst vor dem Test!«, sagte Isabella.
Jan fasste ihre Hand und drückte sie leicht. »Ich habe auch kein gutes Gefühl. Aber es ist die letzte Stufe und ich bin wild entschlossen, sie zu erklimmen - und du schaffst es auch. Ich weiß es.«
Sie standen noch eine Weile so, dann entzog sie ihm ihre Hand.
»Danke Jan.« Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Hast du eigentlich noch immer Hunger?«
»Allerdings. Kommst du mit in die Küche? Lass uns nachschauen, was man uns in die Kühlung gepackt hat.«
Sie durchquerten auf ihrem Weg den Gemeinschaftsraum. Auf der Couch saß Jon und kaute an seinen Nägeln. Wie gebannt verfolgte er einen griechischen Nachrichtensender und würdigte sie keines Blickes.
Isabella deutete auf ihn. »Wenn er nicht allmählich lernt, seine Spannung loszuwerden, wird er noch durchdrehen.«
»Kann schon sein.« Jan zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht sein Kindermädchen.«
»Jan!« Isabella sah ihn vorwurfsvoll an.
»Was denn? Er macht uns an, wann immer es ihm einfällt und ich soll mir Gedanken darum machen, wie ich ihm helfen kann? Das ist nicht dein Ernst!«
»Sei doch nicht so hart.«
»Du verlangst etwas viel von mir. Ich bekomme immer nur seine Arroganz zu spüren. Dir geht es doch nicht anders. Vorhin erst machte er sogar Bemerkungen über uns. Tut mir leid, aber da kann ich nicht freundlich darauf reagieren.«