- Details
- Zugriffe: 4653
12. Rettung?
12.1 Erdurlaub - Teil 1/2
Jan Lückert und Isabella Grimadiu hatten das Abenteuer der Übernahme der Akademie durch chinesische Truppen fast schon vergessen. Monate waren vergangen, seit es ihnen gelungen war, den Gegnern mithilfe eines neuartigen Raumschiffes aus der Forschungswerft der UNO quasi das Wasser abzugraben und sie von ihrem Nachschub zu trennen. Die zum Glück sehr vernünftige chinesische Kommandantin Lian Zhao hatte daraufhin aufgegeben und offiziell einen Asylantrag gestellt. Man hatte ihr den Prozess gemacht, ihr dabei jedoch zugutegehalten, dass sie sowohl die Gefangenen gut behandelt hatte, als auch auf einen unsinnigen Kampf verzichtet hatte, nachdem klar war, dass sie auf sich allein gestellt war und sie keinen Nachschub mehr aus China erhalten würde.
Lian Zhao erhielt eine Strafe zur Bewährung und gleichzeitig wurde ihr Asyl gewährt. Auf Druck der UNO hatte China seine hohen Ambitionen aufgegeben und die angeschlagene Station auf dem Mond aufgegeben. Die Akademie hatte daraufhin die Anlage in Besitz genommen und wiederhergestellt. Irina Onotova und Dr. Kupharhti hatten sich dafür eingesetzt, Lian Zhao die Leitung dieser Anlage zu übertragen. Sie hatte dankbar angenommen und arbeitete seitdem wie besessen. Es war, als hätte sie das Gefühl, ihren Fehler wieder gutmachen zu müssen.
Jan und Isabella hatten beschlossen, ihre Beziehung zu vertiefen, und wollten heiraten. Weder Kupharhti noch Irina waren über die Entscheidung der beiden glücklich. Man konnte es ihnen zwar nicht verwehren, doch gab es eine Richtlinie in den Statuten der Akademie, wonach man es Verheirateten erlauben musste, gemeinsame Dienste zu leisten. Sowohl Jan, als auch Isabella waren hervorragende Piloten. Kupharhti sah es als eine Verschwendung von Talenten, wenn man zwei so hervorragende Piloten auf ein und demselben Schiff einsetzen musste. Er hoffte jedoch, dass sie nicht immer darauf bestehen würden und bereit waren, auch getrennt Dienst zu verrichten. Den Antrag der beiden auf Erdurlaub bewilligte er natürlich gern. Zum einen war für beide ein Erdurlaub mehr als überfällig und zum anderen hatte er volles Verständnis dafür, dass sie ihre Eltern über ihre Entscheidung persönlich informieren wollten. Beide waren sie seit Monaten nicht mehr auf der Erde gewesen. Die Ereignisse des letzten Jahres hatten eine Vergnügungsreise zur Erde einfach nicht zugelassen.
»Ich habe jedoch eine Bitte«, sagte Kupharhti den beiden. »Ihr seid in der letzten Zeit sehr häufig auf der GINA DACCELLI geflogen und sicher in der Lage, sie zu zweit zu fliegen, oder?«
Jan nickte. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Das Schiff benötigt nach den Manövern, die du ihm während der Krise abverlangt hast, neue Endprojektoren. Nicht, dass es unsicher wäre, mit damit zu fliegen, aber wir haben uns entschlossen, die Projektoren vorsichtshalber austauschen zu lassen. Die Reparatur kann an der Werftstation Orbiter 3 in der Erdumlaufbahn schneller und billiger durchgeführt werden als in unserer eigenen Werft auf dem Mond, da die schweren Teile erst hierher transportiert werden müssten. Wenn Ihr aber einen Erdurlaub machen wollt, könnt Ihr auch gleich die GINA mitnehmen.«
Jan und Isabella sahen sich überrascht an.
»Das würde bedeuten, dass wir schneller auf der Erde wären«, sagte Isabella erfreut. »Wie kommen wir von der Station zur Erde? Ich will doch hoffen, dass es einen kurzfristigen Transfer gibt?«
»Sicher gibt es den. Es wird vielleicht noch eine zusätzliche Überraschung geben, aber ich möchte dem nicht vorgreifen.« Kupharhti grinste wissend.
Sie warteten, dass der Leiter der Akademie weitere Erklärungen gab, doch sie warteten vergeblich.
»Wie werden wir zum Mond zurückkommen?«, wollte Jan wissen. »Und vor allem: wann?«
»Man wird euch kontaktieren, sobald die GINA DACCELLI wieder repariert ist, dann müsst Ihr zurückkehren. Ich schätze, dass es etwa drei Wochen dauern wird. Es wird also für einen guten Urlaub reichen. Jetzt macht euch auf den Weg, denn man erwartet euch bereits auf Orbiter 3.«
Sie beeilten sich, dem Wunsch Kupharhtis nachzukommen, denn es war selbstverständlich ein tolles Angebot, mit der GINA DACCELLI zur Erde zu fliegen. Es würde ihnen drei zusätzliche Tage auf der Erde einbringen, wenn sie sich beeilten. Sie wollten sich noch von ihren Freunden verabschieden, doch sie mussten feststellen, dass alle ihre Freunde auf irgendwelchen Missionen waren. Schließlich machten sie sich auf den Weg zum Fährendepot, um sich von einem der Piloten zum Schiff fliegen zu lassen.
Die GINA DACCELLI war ein beeindruckendes Schiff. Das äußere Gerüst ähnelte einem perfekten Hexagon. Im Innern dieser geometrischen Figur ruhte eine Kugel in einer kardanischen Aufhängung. Alles an diesem – fast hundert Meter durchmessenden – Schiff schien beweglich zu sein. Spätere Modelle würden sicherlich anders aussehen als dieser Prototyp. Allein das Zutrittssystem war verbesserungswürdig, denn es war schon umständlich, über das Antriebsröhrensystem und verschiedene Schleusen zwischen den Aufhängungsgelenken in die zentrale Kugel zu gelangen, doch im Moment ging es eben nicht anders. Es war immer wieder ein eigenartiges Gefühl, dieses Schiff zu betreten. Sie wussten, dass niemand an Bord war und alle Systeme nur in Stand-by arbeiteten. Die Beleuchtung war nur trübe, die Konsolen nur an ihren bunten Bereitschaftsleuchten zu erkennen.
Als sie zum ersten Mal dieses Schiff geflogen hatten, waren sie nicht allein gewesen, sondern alle ihre Freunde waren dabei gewesen.
»Nicht alle«, korrigierte sich Jan in Gedanken. »Gina war nicht da.« Es fiel ihm noch immer schwer, an den Verlust ihrer Freundin zu denken. Vor allem Pelle hatte sehr darunter gelitten. Er konnte sich noch daran erinnern, dass er fast geweint hätte, als Pelle dem Schiff den Namen GINA DACCELLI gegeben hatte. Jan hoffte, dass Maria, mit der er zurzeit oft zusammen war, ihm darüber hinweghelfen konnte.
Diesmal würden sie die wichtigsten Systeme auf ihre beiden Bedienkonsolen zusammenschalten müssen, um das Schiff zu zweit fliegen zu können.
Isabella ließ sich an ihrer Konsole nieder. Sie wusste, dass Jan dieses Schiff liebte und es auch liebte, es selbst als Pilot zu steuern, also übernahm sie ohne Weiteres die Position des Co und des Funkers. Jan würde Navigation und Pilotensitz übernehmen. Der Platz des Bordtechnikers musste leer bleiben. Isabella schaltete nacheinander die Systeme ein und nach und nach flammten die Beleuchtungen an allen Konsolen sowie an der Decke der Zentrale auf. Das Schiff erwachte zum Leben. Eine halbe Stunde später meldete die Energieversorgung, dass nun auch die Reaktoren ihre volle Leistung erreicht hatten.
»GINA DACCELLI an Orbit-Control«, rief Isabella in ihr Mikrofon. »wir sind startklar und erbitten einen Vektor für einen Expressflug zur Erde.«
Aus dem Lautsprecher drang ein leises Lachen.
»Isabella, bist du das?«, fragte eine Frauenstimme. »Hier ist Maria.«
»Maria? Maria Sanchez? Was machst du in der Flugkontrolle?«
»Ich helfe nur aus und bin auch froh, wenn ich hier weg kann. Ich hab gehört, Ihr zwei macht eure Hochzeitsreise zur Erde?«
»Maria, wir sind doch noch gar nicht verheiratet.«
»Wo werdet Ihr denn heiraten? Ich will mir den Termin schließlich freihalten.«
»Wir sind jetzt für etwa drei Wochen weg und danach wollen wir uns hier auf dem Mond trauen lassen. Aber jetzt hätten wir schon gern die Daten für den Abflug.«
»... sind unterwegs, und zwar ... jetzt. Ich wünsch euch 'nen guten Flug.«
Auf dem Display von Jans Konsole erschienen einige Zahlenkolonnen, die sofort vom Navigationscomputer verarbeitet wurden. Sie konnten starten.
»Bist du angeschnallt, Schatz?«, fragte er.
»Was denkst denn du? Bin ich schon die ganze Zeit über. Bring uns endlich zur Erde!«
Jan grinste und ließ das Korpuskulartriebwerk anlaufen. Das Schiff scherte aus der Reihe der übrigen, im Orbit geparkten, Schiffe aus und schlug die Richtung zur Erde ein. Erst als die GINA DACCELLI bereits zehntausend Kilometer vom Mond entfernt war, startete Jan das Plasmatriebwerk, wodurch die GINA DACCELLI einen regelrechten Satz machte, und sie heftig in die Polster gedrückt wurden. Maria Sanchez hatte ihnen einen Kurs weit jenseits der gängigen Routen der Frachtschiffe zugewiesen, damit es nicht zu Komplikationen mit dem Plasmaausstoß kam. Sie konnten auf dem Radar erkennen, dass sie ständig langsam fliegende Frachter überholten. Trotzdem war der Flug zur Erde eine langweilige Angelegenheit, da nach der Beschleunigungsphase nichts mehr passierte.
Jan aktivierte den Autopiloten und drehte seinen Sessel zu Isabella. »Autopilot aktiv. Wenn es zu Unregelmäßigkeiten kommt, schlägt er Alarm.«
Isabella blickte ihn fragend an. »Warum sagst du mir das? Das ist doch normal.«
Jan rollte mit den Augen. »Wir sind jetzt erst mal arbeitslos. Das will ich damit sagen. Was fangen wir jetzt an? Ich würd dich ja gern ausführen, aber ...«
»Komm mir jetzt nicht mit Ausreden. Lass dir was einfallen.«
Jan tat, als müsse er überlegen. »... also im Kino läuft zurzeit nichts Gutes und zu meinem Lieblings-Italiener ist es etwas weit. Ich glaub, das wird schwierig.«
»Muss es eigentlich nicht.« Isabella grinste anzüglich, stieß sich von ihrem Sitz ab und segelte langsam auf die kleine Kabine zu, die man für die Mannschaft hinter der eigentlichen Zentrale eingebaut hatte. »Vielleicht kommst du ja von allein drauf.«
»Isa, ehrlich! Wir haben zurzeit Schwerelosigkeit! Das wird nicht funktionieren.«
»Haben wir es jemals ausprobiert? Ich wäre bereit dazu.« Sie öffnete langsam den Reißverschluss ihrer Kombination und verschwand in der Kabine.
»Ihr Frauen könnt einen Mann wirklich überzeugen«, lachte Jan, schnallte sich ab und folgte Isabella zur Kabine.
Später wurde es Zeit für das Bremsmanöver. Jan wartete bis zum letzten Moment und bremste das Schiff dann mithilfe des Plasmaantriebs ab, wodurch sie bald in einen Geschwindigkeitsbereich kamen, in dem sie konventionell navigieren konnten. Das Andockmanöver an der Werftstation Orbiter 3 war reine Routine, auch wenn sie noch nie an dieser Station angelegt hatten. Während ihrer Arbeit auf dem Mond hatten sie schon unzählige solche Manöver absolviert, sodass sie die schwere GINA DACCELLI nahezu ohne einen Ruck an der Ladebucht der Station ankoppeln konnten. Orbiter 3 war wie ein großes Rad konstruiert, mit einer Nabe, die weit über die Ebene des Rades hinausragte. Drei dicke Speichen verbanden die Nabe mit dem Rad. Die Nabe enthielt die Docks für anfliegende Schiffe. Zu diesem Zweck drehte sie sich ständig so gegen die Rotationsrichtung des Rades, dass sie für anfliegende Schiffe stillzustehen schien.
Sie packten ihre Sachen und begaben sich zur Schleuse in der Antriebsröhre, wo bereits von der Werft aus ein mit Atemluft gefüllter Rüssel angeschlossen worden war. Somit konnten sie ohne Raumanzug auf die Station wechseln.
Sie waren bisher noch nie auf einer Werftstation im Orbit der Erde und empfanden die Hektik dort als unangenehm. In der Nabe herrschte Schwerelosigkeit und jeder, der ankam, musste zunächst in eine Anpassungsschleuse steigen, die ihn an die Rotation der eigentlichen Orbiter-Station anpasste. Erst danach konnte man sich über eine der Speichen bis ins Rad bewegen. Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, nahm die Fliehkraft zu, und als sie das Ende der Speiche erreicht hatten, glaubten sie, auf der Mondoberfläche zu stehen.
Ständig hasteten Menschen in Overalls vorbei. Niemand nahm von ihnen Notiz.
Schließlich hielt Isabella einen Mann mit mürrischem Gesichtsausdruck an. Sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Entschuldigen Sie, junger Mann, wir sind eben erst hier angekommen und finden uns in diesem Gewimmel hier noch nicht zurecht.«
Der Gesichtsausdruck des Mannes wurde eine Spur freundlicher, als er bemerkte, wer ihn angesprochen hatte. »Ähm, ja. Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Wir suchen das Anmeldebüro. Wo man eventuell auch einen Transfer zur Erde anmelden kann.«
Der Mann deutete auf eine Art Paternoster, die im Hintergrund des hallenähnlichen Raumes für den Transport der Menschen auf ein anderes Level der Station sorgte. »Fahren Sie mit einer dieser offenen Kabinen zwei Ebenen hinauf. Sie können es dort gar nicht verfehlen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Isabella und wandte sich Jan zu. »Siehst du? Man muss nur richtig fragen, dann erfährt man alles.«
Jan schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass es viel gebracht hätte, wenn ich den Kerl mit zuckersüßem Lächeln angequatscht hätte.«
Isabella lachte und strich sich ihre Haare aus dem Gesicht. »Bei mir klappt das meistens. Ihr Männer werdet eben schnell weich, wenn ihr ein nettes Mädel seht.«
Sie reihten sich in die Schlange der Wartenden ein und studierten derweil die große Orientierungstafel an der Wand. Dort fanden sie schließlich, was sie suchten und ließen sich von der Paternoster dorthin transportieren.
»Sie sind von der GINA DACCELLI?«, fragte ein junger Mann im Anmeldebüro, der sie mit Handschlag begrüßte. »Wir sehen hier nicht oft solche Schiffe. Ein wirklich beeindruckendes Fahrzeug, das sie da haben.«
»Nun, es ist nicht unseres, sondern es gehört im Grunde der UNO, nicht wahr?«, meinte Isabella.
»Das schon, aber Sie sind damit geflogen. Was ist das für ein Gefühl, wenn einen der Plasmaantrieb in die Sitze presst?«
»Es ist genau das«, sagte Jan. »Man wird in die Sitze gepresst. Mehr bekommt man davon nicht mit. Aber ich hab auch eine Frage: Wir sind auf dem Weg zur Erde. Unser Direktor, Dr. Kupharhti, hat uns gesagt, dass wir einen schnellen Transfer zur Erdoberfläche erhalten sollten. Können Sie uns etwas darüber sagen?«
»Wir haben derzeit ein akutes Problem. Wir können keinen einzigen Piloten entbehren. Allerdings verfügen wir über mehrere Landegleiter. Ich bin ermächtigt, Ihnen einen davon anzubieten.«
»Wir sollen selbst in der Atmosphäre landen?«, fragte Jan ungläubig. »Ich bin noch nie selbst auf der Erde gelandet.«
Der Mann sah auf seine Unterlagen. »Aber Sie sind doch Jan Lückert, oder nicht? Hier steht, dass Sie die Befähigung haben, unsere Modelle auch auf der Erde zu fliegen und zu landen. Trifft das etwa nicht zu?«
»Ich habe alle meine Erfahrungen im Simulator auf dem Mond gemacht. Ich bin zwar im Besitz eines Pilotenscheins für Atmosphärenflug, aber ich bin noch nie eigenhändig auf der Erde gelandet.«
»Ich habe Anweisung, Ihnen einen Landegleiter auszuhändigen«, sagte der Mann leicht verstimmt und reichte Jan eine Mappe sowie eine digitale Schlüsselkarte. »Darin finden Sie alles, was Sie wissen müssen. Die Key-Card brauchen Sie zum Starten der Maschine. Nehmen Sie vor dem Start unbedingt Kontakt zur Flugsicherung auf. Sie erhalten von dort Ihre Daten für den Einflugkorridor. Halten Sie sich bitte peinlich genau an diesen Korridor.«
Jan hielt die Unterlagen und die Key-Card unschlüssig in der Hand. »Das ist alles? Wie geht es weiter, nachdem wir gelandet sind? Gibt es dazu keine Anweisungen?«
Der Mann grinste. »Das ist nun wirklich nicht mein Problem. Sie sind doch von der UNO, oder etwa nicht? Dann sollten Sie doch wissen, dass wir Ihnen Priorität gewähren müssen. Machen Sie mit dem Gleiter, was sie wollen. Meine Anweisung lautet, Ihnen diese Sachen auszuhändigen. Das hab ich hiermit getan. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden - ich hab noch eine Menge zu tun.«