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13. Der Flug der JEAN SIBELIUS
13.2 Piraten
Kyle Brown war nicht sein richtiger Name, doch trug er ihn schon so lange, dass er sich an seinen eigentlichen Namen kaum noch erinnern konnte. Er sah mit seinen fünfzig Jahren noch immer äußerst sportlich und dynamisch aus. Kyle achtete stets auf eine gute und ausgeglichene Ernährung und trainierte täglich im Fitnessbereich der BLACK BOTTOM. Er hatte eben seine Trainingseinheit beendet und kam völlig verschwitzt in die Zentrale, wo ihn sein Bruder bereits erwartete, der sich den Namen London Brown zugelegt hatte.
»Du und dein Scheißtraining!«, empfing er seinen Bruder. »Die Männer wollen langsam wissen, was du eigentlich vorhast!«
Kyle grinste seinen Bruder an. »Die Männer werden noch früh genug zu tun bekommen. Sabina soll ihren Job machen. Sobald sie gefunden hat, was wir suchen, geht es los. Bis es aber so weit ist, werden wir uns ruhig verhalten. Ist das soweit klar?«
Kyle hatte es mit einem Grinsen gesagt, doch kannte London seinen Bruder genau. Er wusste, dass er keinen Widerspruch dulden würde. Manchmal beneidete er Kyle um diese Härte. Ohne Kyle hätte er diesen Job schon längst aufgegeben.
Die BLACK BOTTOM war ein untypisches Raumschiff. Gebaut wurde sie als Frachter in einer der freien Werften im Erdorbit, wo man für Geld so ziemlich alles bekommen konnte, wenn man es nur bezahlen konnte. So stellte man auch keine Fragen, als der Auftraggeber den größten Teil des Laderaumes mit Beibooten bestücken ließ und sowohl für das Mutterschiff, als auch für die Beiboote eine beachtliche Bewaffnung installieren ließ. Es hätte jedem klar sein müssen, dass es nicht normal war, wenn ein privater Neubau bis an die Zähne bewaffnet war, doch der Auftraggeber, der stets im Hintergrund blieb, zahlte gut und pünktlich. Als das Schiff fertig war, traf eine Crew in der Werft ein und übernahm das Schiff. Kyle Brown legte Unterlagen vor, wonach er und seine Leute die BLACK BOTTOM übernehmen, und alle Unterlagen über das Schiff vernichten sollten. Das war zwar nicht üblich, doch ein großzügiger Betrag an die Bank des Werftbetreibers löste auch dieses Problem. So ging ein großer, schwarzer, zylinderförmiger Frachter auf die Reise und wurde so bald in Erdnähe nicht mehr gesehen.
»Darf ich wenigstens erfahren, wonach Sabina suchen soll?«, fragte London. »Ich finde, du machst ein zu großes Geheimnis aus der Sache. Wir haben alle ein Recht darauf, zu erfahren, wofür wir unseren Hals riskieren. Außerdem bin ich dein Bruder.«
Kyle sah ihn ein paar Sekunden schweigend an. »Der Koordinator hat mich ausdrücklich zum Stillschweigen verpflichtet. Wir sollen unseren Job machen und die Ware zu einem Ziel liefern, das uns noch genannt wird. Zu viele Fragen können verdammt ungesund sein.«
»Ich bin trotzdem der Meinung, dass du es wenigstens mir sagen solltest.«
Kyle blickte sich in alle Richtungen um und zog seinen Bruder zur Seite.
»In fünf Minuten in meiner Kabine«, sagte er leise, dann wandte er sich ab und lief zur Ortungszentrale. London blickte ihm hinterher. Ihm gefiel die Sache immer weniger.
»Na Sabina«, sagte Kyle, als er die Ortungszentrale betrat. »Hast du schon was gefunden?«
Sabina Doyle, die einzige Frau an Bord der BLACK BOTTOM, sah von ihrer Konsole auf und lächelte ihren Kommandanten an. Sie wusste, dass diesem Lächeln kaum einer der Männer an Bord widerstehen konnte, und genoss es, ihre besondere Position im Schiff auszuspielen. Wer sie sah, hätte niemals vermutet, dass sie eine der besten Ortungsspezialisten war, die das japanische Uchinoura Space-Center jemals hervorgebracht hatte. Sie besaß eine Figur, die einem Model alle Ehre gemacht hätte und dazu noch ein von einer blonden Mähne eingerahmtes, hübsches Gesicht.
»Du erwartest etwas viel von mir!«, sagte sie. »Vielleicht solltest du mir einen Tipp geben, wonach ich eigentlich suchen soll. Sicher erfass ich ständig irgendwelche Objekte, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dich ein Asteroid interessiert, oder?«
»Da hast du wohl recht«, bestätigte Kyle. »London hat mich auch schon darauf angesprochen, dass es ihn stört, unseren Auftrag nicht zu kennen. Mir gefällt das selbst nicht, aber der Koordinator hat es so angeordnet.«
»Da scheiß ich drauf!«, entfuhr es Sabina, der man so etwas eigentlich nicht zugetraut hätte. »Dieser ominöse ›Koordinator‹ soll uns unsere Arbeit machen lassen! Wir sind keine Anfänger! Ich hab keine Lust mehr, jedem Phantom nachzujagen, ohne zu wissen, wonach ich eigentlich suche.«
»Sabina, wir müssen vorsichtig sein«, mahnte Kyle. »Der Koordinator hat seine Informanten überall. Du weißt, wie er mit Leuten umspringt, mit denen er unzufrieden ist.«
»Verdammt Kyle, sag es mir endlich!«, forderte Sabina. »Wie lautet unser Auftrag?«
Kyle warf einen Blick über die Schulter, dann drückte er einen Knopf, worauf das Schott zum Gang zuglitt.
»Wir suchen einen Frachter«, sagte er leise, während er sich zu ihr hinunter beugte.
Sabina umschlang Kyles Hals mit einem Arm und zog ihn zu sich heran. Es folgte ein langer leidenschaftlicher Kuss, der ihm den Atem raubte. Er befreite sich nach einiger Zeit aus ihrem Griff.
»Sabina, ich hasse deine Spielchen«, sagte er. »Ich bin immerhin der Kommandant.«
»Du hasst diese Spielchen«, echote Sabina mit einem spöttischen Lächeln. »Von den anderen Jungens kommen mir keine Klagen.«
Kyle sah sie einen Moment sprachlos an. »Du gibst offen zu, dass du es auch mit den anderen treibst?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht dein Eigentum. Ein Frachter also. Was für ein Frachter? Was hat er geladen? Wird er begleitet?«
Kyle war froh, dass Sabina wieder zu ihrer alten Professionalität zurückgefunden hatte.
»Es geht um eine komplette Ladung Speicherkristalle.«
Sabina pfiff durch die Zähne. »Speicherkristalle, das ist wahrlich ein lohnender Job. Wissen wir auch den Namen des Schiffes?«
»JEAN SIBELIUS.«
Sabina runzelte kurz die Stirn, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte.
»Ich glaube, ich hab von diesem Schiff gehört. Groß, schnell, unbewaffnet. Keine leichte Aufgabe. Die JEAN SIBELIUS hat sogar ein Plasmatriebwerk, wenn ich mich nicht irre. Da verbietet sich ein Anpirschen von selbst. Da können wir nur mit voller Leistung hinterher, sobald wir die Bahndaten ermittelt haben.«
»Genau so ist es«, bestätigte Kyle. »Deshalb haben wir den Job bekommen, weil nur wir eine Chance haben, diesen Frachter zu stellen.«
Kyle ging zum Schott zurück. Bevor er die Ortungszentrale verließ, wandte er sich noch einmal um. »Wie wäre es mit einem Drink bei mir in der Kabine, wenn dein Dienst beendet ist?«
Sabina lächelte ihn anzüglich an. »Du weißt, dass ich gern zu dir komme, Kyle. Aber wenn du darauf bestehst, nehme ich auch den Drink.«
Kyle trat wieder auf den Gang und machte sich auf den Weg zu seiner Kabine, wo sicherlich bereits sein Bruder auf ihn wartete.
London Brown hatte es sich auf Kyles Bett bequem gemacht, als er seine Kabine betrat.
»Und?«, fragte er. »Hast du mir etwas zu erzählen?«
»Ich weiß nicht, ob es richtig ist, aber ich hab es eben auch Sabina erzählt«, sagte Kyle. »Sie muss immerhin wissen, wonach sie suchen soll. Wir warten auf ein Schiff mit Namen JEAN SIBELIUS, das mit einer Ladung Speicherkristalle auf dem Weg ins innere System ist.«
»Speicherkristalle«, wiederholte London. »Das erklärt einiges. Wer ist Betreiber des Schiffes? Ist mit bewaffneter Begleitung zu rechnen?«
»Nach meinen Informationen nicht«, sagte Kyle. »Das Schiff ist von der ESA, die arbeiten in der Regel nicht mit den Militärs zusammen. Wir sollen die JEAN SIBELIUS aufbringen und die Ware an einen Ort schaffen, den man uns noch bekannt geben wird.«
London überlegte. »Was ist das für ein Schiff? Ich habe den Namen noch nie gehört. Ich hasse es, wenn ich so wenig über den Gegner weiß.«
»Der Koordinator geht davon aus, dass es ein Spaziergang wird«, meinte Kyle. »Mach dir jetzt nicht ins Hemd wegen eines einzigen Frachters. Die einzige Schwierigkeit wird sein, schnell genug heranzukommen, bevor er eine Meldung absetzen kann. Die JEAN SIBELIUS besitzt einen Plasmaantrieb.«
London sah seinen Bruder nachdenklich an.
»Mir gefällt das nicht, Kyle. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Es gefällt mir auch nicht, dass du diesen Auftrag von diesem rätselhaften ›Koordinator‹ angenommen hast.«