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4. Jumper-Prüfung
4.1 Einzug
Nachdem sie die innere Schleuse der Akademie passiert hatten, standen sie mehreren Personen gegenüber, die eine Art Bordanzüge trugen, wie sie die NASA üblicherweise verwendete. Atemgeräte trugen sie nicht, sodass sie davon ausgehen konnten, dass man sich hier in einer normalen Atmosphäre befand.
»Sie können Ihre Helme nun abnehmen«, sagte ein älterer, dunkelhäutiger Mann mit grauen Haaren. Seiner äußeren Erscheinung nach konnte er aus Indien oder Pakistan stammen.
Sie griffen an ihre Helmverschlüsse und nahmen die Helme ab. Es war immer wieder ein gutes Gefühl, normale Luft zu atmen und nicht die trockene, aufbereitete Luft aus den Versorgungstornistern. Ein paar Mal atmeten sie heftig durch. Das Begrüßungskomitee wartete geduldig, bis die neuen Studenten sich etwas akklimatisiert hatten.
»Mein Name ist Dr. Rafi Kupharhti«, sagte der Mann. »Ich bin Direktor dieser Einrichtung und möchte Sie in unserer Akademie willkommen heißen. Wir freuen uns, dass man uns endlich neue Studenten von der Erde schickt. Der Bedarf an kompetenten Raumfahrern wächst ständig, doch müssen wir die Messlatte für die Aufnahme an der internationalen Akademie für Raumfahrt und Entwicklung, kurz ›die Akademie‹ genannt, sehr hoch legen. Wir können nur die Besten gebrauchen. Wer hier versagt, kann die nächste Passage zur Erde nehmen. Ich will euch keine Angst machen. Wir sind keine Unmenschen. Leben Sie sich erst einmal ein. Es ist jetzt früher Morgen hier auf dem Mond. Der heutige Tag gehört ihnen, aber morgen früh um acht Uhr erwarten wir Sie im Akademieunterrichtsraum 2.199. Sollten Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an meine Kollegin Irina Onotova, die ihnen auch ihre Unterkünfte zeigen wird.«
Der Direktor nickte ihnen kurz zu, verschwand durch ein metallenes Schott und ließ sie mit den restlichen Leuten allein. Jan und Isabella sahen sich fragend an. Was war denn das für ein Empfang gewesen? Sie hatten sich ihre Ankunft auf dem Mond doch etwas anders vorgestellt.
Irina Onotova war eine Frau mittleren Alters. Ihr langes Haar hatte sie streng nach hinten gekämmt und mit einer Klammer fixiert. Dem Namen nach schien sie aus der russischen Republik zu stammen.
»Unser Direktor ist kein Mann der vielen Worte«, sagte sie. »er hasst solche Anlässe. Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Wenn Sie ihn besser kennen, werden Sie sehen, dass er gar nicht so kurz angebunden ist, wie es jetzt scheint. Nehmen Sie es ihm nicht übel, dass er sich so schnell zurückgezogen hat. Er meint es nicht so. Mein Name ist – wie schon gesagt – Irina Onotova und ich bin Dr. Kupharhtis Stellvertreterin.«
»Läuft es hier wirklich so streng, wie er es vorhin angedeutet hat?«, wollte Pelle wissen.
Irina lächelte leicht.
»Wir können es uns nicht leisten, Zeit zu vergeuden«, sagte sie. »deshalb können wir Ihnen auch nicht mehr Zeit zum Eingewöhnen zubilligen. Der Unterricht wird morgen früh beginnen und ich möchte Ihnen ans Herz legen, sofort von Beginn an mitzuarbeiten. Jetzt folgen Sie mir bitte, ich werde Sie zu ihren Quartieren bringen.«
»Was machen wir mit unseren Raumanzügen?«, fragte Nelson. »Die müssen wir innerhalb der Station doch nicht tragen, oder?«
Irina schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Legen Sie die Anzüge ab. Sie werden diesen Typ sowieso nicht mehr brauchen. Wir nutzen hier schwerere Modelle, mit denen man länger draußen arbeiten kann. Ich denke, morgen Nachmittag nach dem Unterricht wird man Ihnen neue Anzüge anpassen.«
Sie halfen sich gegenseitig aus den Raumanzügen. Irina wartete geduldig und beobachtete ihre neuen Schüler dabei aufmerksam.
Jan bemerkte ihren prüfenden Blick und sah sie fragend an.
»Macht nur weiter. Ich schau nur zu und verschaffe mir einen Eindruck von der Gruppe. Es ist oft aufschlussreich, zu sehen, ob man sich bei schweren Aufgaben hilft oder ob man es mit Einzelkämpfern zu tun hat. Sozialverhalten ist auf dem Mond sehr wichtig.«
»Das verstehen wir schon«, meinte Isabella. »Ich habe aber das Gefühl, als würden Sie Jan und mich genauer beobachten als die anderen.«
»Das ist auch so.« Irinas Lächeln wurde breiter. »Wir kennen unsere neuen Kandidaten im Grunde bereits sehr genau, wenn sie in der Akademie eintreffen. So wurde uns von der Erde berichtet, dass Sie beide ein enges Verhältnis haben.«
»Gibt es daran etwas auszusetzen?«, fragte Jan aggressiv.
»Nein, ganz und gar nicht. Wir schreiben unseren Studenten sicherlich nicht vor, mit wem sie eine Liebesbeziehung eingehen und mit wem nicht. Nur der Betrieb darf darunter nicht leiden, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ja, ich habe schon verstanden. Es wird hier nicht gern gesehen.«
Irina hob abwehrend die Hände. »So ist es nicht. Das sehen Sie falsch. Wir beobachten nur, ob eine Beziehung den Dienstbetrieb stört. Wenn Sie Dienst und Privatleben trennen können, sehe ich überhaupt keinen Grund, etwas dagegen zu haben. Wenn man junge Männer und Frauen in Ihrem Alter unterrichtet, wird man immer mal feststellen, dass es Liebesbeziehungen und Pärchenbildung gibt. Das ist schließlich auch normal.«
»Wir sind soweit«, sagte Robert, der als Letzter fertig wurde.
Irina führte die Neuen durch endlose Gänge und Hallen. Nie hätten sie gedacht, dass die Station im Innern so groß war. Unterwegs passierten sie Gruppen von Studenten der höheren Klassen, die neugierige Blicke auf die Neuzugänge warfen. Schließlich erreichten sie den Wohntrakt. Hier waren die Gänge enger als in den Bereichen, die sie bisher durchquert hatten. Sowohl links, als auch rechts waren Türen, an denen jeweils mehrere Namen angebracht waren.
»So für die Studenten Lückert und Larsson ist hier bereits das Ziel erreicht«, sagte Irina Onotova. »Sie werden hier in diesem Raum links wohnen. Wir haben normalerweise immer zwei neue mit zwei alten Studenten in einer Wohneinheit kombiniert. In ihrem Fall mussten wir allerdings umdisponieren, weil Sie eine ungerade Gruppe sind. Ich denke jedoch, dass Sie zurechtkommen werden. Machen Sie sich mit ihren neuen Kollegen bekannt und richten sich ein. Wir treffen uns nachher alle in der Kantine zum gemeinsamen Abendessen.«
Irina überreichte den beiden je einen kleinen digitalen Schlüssel für die Eingangstür. Dann führte sie den Rest der Gruppe weiter den Gang hinunter und ließ die beiden vor der Tür zu ihrer künftigen Wohneinheit zurück. Jan und Pelle sahen sich an.
Nach einiger Zeit sagte Pelle: »Also, starren wir uns nun an, oder sollen wir nicht besser diese Tür öffnen?«
Jan grinste.
»Entschuldige Pelle, aber ich bin wohl noch etwas durcheinander.«
»Das hab ich gemerkt. Aber keine Angst - Du wirst sie wiedersehen.«
»Pelle, du kannst so ein Arsch sein ...«
Jan drückte seinen Schlüssel mit der Kontaktfläche an den Sensor der Eingangstür, worauf ein leises Piepen ertönte und die Tür aufsprang. Pelle griff nach der Tür und zog sie auf. Sie war erstaunlich schwer und er musste einiges an Kraft aufbieten, um sie vollständig zu öffnen. Sie betraten die Wohneinheit und zogen die Tür hinter sich zu. Als sie sich umblickten, waren sie überrascht, wie geräumig diese Wohneinheit war. Sie standen in einem kleinen Flur und blickten geradeaus in einen großen Wohnraum, der gemütlich möbliert war. Zwar war der Boden mit dem üblichen Kunstbelag ausgestattet, aber es gab einen alten Schrank aus echtem Holz sowie eine ausladende Couchgruppe mit hohen Lehnen. Sie betraten den Raum mit wenigen Schritten und sahen, dass noch zwei weitere Personen anwesend waren. Einer von ihnen warf sein Buch, in dem er gelesen hatte, auf einen niedrigen Tisch und erhob sich, um die Neuankömmlinge zu begrüßen.
»Hi, ich bin Giovanni. Giovanni Salto, genau genommen, aber ich denke nicht, dass wir unter uns unsere Nachnamen brauchen werden, oder?«
Er streckte ihnen mit einem breiten Lächeln seine Hand entgegen.
»Ich bin Jan Lückert«, sagte Jan. »und das ist mein Freund Pelle Larsson.«
Giovanni drehte sich zu seinem Kollegen um und sagte:
»Komm Ludger, du könntest dich auch mal erheben.«
Ludger Walken, der Vierte im Team der Wohneinheit, erhob sich mit einem Seufzen.
»Es hat nichts mit euch zu tun, Jungs, ich bin einfach total kaputt heute. Freut mich, euch kennenzulernen. Habe ich eben richtig gehört? Ihr seid befreundet? Ich dachte, ihr seid neu hier. Normalerweise sind sich die Neuen hier untereinander nicht grün, weil sie während der Tests auf der Erde gegeneinander gearbeitet haben.«
»Sicher war man dort unten meist Einzelkämpfer, aber das hat doch nichts damit zu tun, dass man sich mag. Ist es verboten, Freundschaft zu schließen?«
»Oh Gott, nein!«, rief Giovanni aus. »Es ist nur ungewöhnlich. Aber uns soll es Recht sein.«
Ludger nickte zustimmend. »Ich glaube, ihr zwei passt ganz gut hier hinein, wenn ihr solche Ansichten habt. Kommt, wir zeigen euch erst mal euer neues Reich.«
Giovanni und Ludger führten sie durch alle Räume. Jan und Pelle kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»So sehen unsere Zimmer aus.« Giovanni deutete auf den Raum hinter der Tür, die er geöffnet hatte.
»Was? Ein so großer Raum nur für uns beide?«, staunte Pelle.
Giovanni lachte laut. »Jeder von uns hat ein solches Zimmer. Man ist hier in der Akademie recht großzügig, was die Zuweisung von Lebensraum angeht. Man will, dass sich die Studenten in jeder Hinsicht wohlfühlen und wenn man es sieht, versteht man es auch, oder?«
Jan und Pelle waren absolut sprachlos.
»Es ist hier schon sehr luxuriös. Richtet euch erst mal ein. Wir haben sogar eine eigene Küche, allerdings nur ein Gemeinschaftsbad und einen wirklich riesigen Gemeinschaftsraum.«
»Ist das der mit den tollen Holzmöbeln?«, fragte Jan.
»Die stammen von Ludgers Vater. Frag mich nicht, was der beruflich macht, aber seine Familie ist steinreich. Er hat dieses ganze Zeug auf eigene Kosten hier hinaufschaffen lassen. Stellt euch das vor. Seinem Sohn sollte es auf dem Mond an nichts fehlen.«
Ludger kam zu ihnen hinüber. »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie peinlich mir das war. Niemand sonst hat solchen Luxus. Ich hab das nie gewollt. Aus diesem Grund hab ich das alles auch in den Gemeinschaftsraum geschafft. So haben wir wenigstens alle was davon.«
Das Mobiliar in den privaten Zimmern war eher nüchtern und zweckmäßig, aber durchaus brauchbar. Jan stellte zu seiner Freude fest, dass sein Gepäck bereits geliefert worden war und so konnte er sich erst einmal häuslich einrichten.
Nach einiger Zeit klopfte Giovanni an den Türrahmen von Jans offen stehender Tür. »Gleich ist Essenausgabe in der Kantine. Man sollte pünktlich dort sein. Wenn es euch Recht ist, nehmen wir euch mit. Ihr kennt euch ja noch nicht aus.«
»Danke Giovanni. Sag mal, wie lange seid ihr – Ludger und du – eigentlich schon in der Akademie?«
»Wir sind jetzt im fünften Semester«, antwortete Giovanni. »Deshalb haben wir ja jetzt euch zugeteilt bekommen. Wir sind eure Paten für die erste Zeit, in der ihr hier auf dem Mond seid. Ab dem fünften Semester bekommt man erweiterte Aufgaben. Dazu gehören Kontrollflüge mit dem Jumper und neuerdings auch Shuttleflüge in den Mondorbit, um Waren mit Mondshuttles von der Erde auszutauschen, die nicht landen können, wie es zum Beispiel die neue Moonshuttle-1 kann.«
»Solche Dinge lassen sie euch schon im Fünften machen?«, wunderte sich Jan.
»Sicher. Irgendwann muss man sich hier freifliegen. Spätestens im Achten lassen sie uns auf die großen Mondshuttles los. Aber wieso wunderst gerade du dich darüber? Du hast doch sogar schon die Moonshuttle-1 gelandet.«
Jan war sprachlos. »Wieso weißt du davon? Außerdem war es pures Glück!«
Giovanni lachte. »Jetzt reg dich nicht auf, Jan. Auf dem Mond gibt es keine wirklichen Geheimnisse. Alles spricht sich herum. Manches sogar extrem schnell. Natürlich haben wir uns informiert, als wir erfahren hatten, wen wir zu uns in die Wohneinheit bekommen würden. Aber sei nicht so bescheiden: Warum auch immer du das Shuttle gelandet hast – du hast deinen Instinkt eingesetzt und es hat geklappt. Ich habe es von Luuvi Tainonen erfahren. Er ist Funker auf der Moonshuttle-1 und war mein Pate, als ich neu war. Er sagte, dass sein Kommandant – Carl Feininger – von deiner Leistung beeindruckt war. Ich kann dir verraten, dass Kommandant Feininger nicht leicht zu beeindrucken ist.«
Jan war total verblüfft, dass man über ihn – einen Neuen - bereits so viel wusste. Er erhob sich von seinem Bett, auf dem er gesessen hatte, und folgte Giovanni in den Gemeinschaftsraum, in dem bereits Ludger und Pelle warteten. Als sie auf den Flur hinaustraten, fügte Giovanni noch hinzu: »... und deine rumänische Freundin ist wirklich eine tolle Frau.«
Jan fuhr herum und blickte in Giovannis breit lachendes Gesicht.
»Ich sagte ja, dass sich bei uns alles herumspricht. Aber lass dich nicht ärgern, deine Freundin sieht wirklich Klasse aus.«
Ludger schlug Jan mit der Hand auf die Schulter. »Ganz so, wie Signore Salto es darstellt, ist es nicht, aber du wirst noch erleben, dass Giovanni unser bester Nachrichtensender ist.«
»Blödmann!«, sagte Giovanni. »Was sollen denn unsere neuen Freunde von uns denken?«
Ludger lachte. »Reg dich nicht auf, Radio Verona. Lass uns lieber Essen gehen.«
Sie gingen über den Flur und trafen auf immer mehr Studenten, die aus ihren Wohnungen traten und bald den Gang verstopften. Jan hielt Ausschau, ob er nicht Isabella in der Menge entdeckte, doch es war zum einen zu voll und zum anderen wusste er ja nicht einmal, wo man sie untergebracht hatte.
Nach einigen Minuten betraten sie die Kantine, die sich als riesige Halle entpuppte. Die Luft war von den unterschiedlichsten Geräuschen erfüllt. Gesprächsfetzen drangen an sein Ohr, wie auch das Klappern von Geschirr und Bestecken. Sie reihten sich in die Schlange der Wartenden ein und bedienten sich bei den Tabletts und Bestecken.
»Wie ist eigentlich die Küche?«, fragte Pelle. »Taugt sie was?«
»Oh, das Essen ist sensationell«, sagte Ludger. »ihr werdet‘s erleben.«
Langsam schob sich die Schlange vorwärts und Jan fragte sich, ob all die Menschen wirklich alle mit der Akademie zu tun haben konnten. So viele Studenten oder Lehrkräfte konnte es doch nicht geben. Schließlich waren sie an der Reihe und ließen sich eine gute Portion vom Küchenpersonal auftragen. Auf der Suche nach einem freien Tisch stellte Jan fest, dass er sich noch nicht so ganz an die neuen Schwerkraftverhältnisse gewöhnt hatte. Es wurde ein regelrechter Balanceakt, nichts zu verschütten.
Ein Mädchen, das allein an einem der Tische saß, winkte ihnen zu.
»Da ist Eva«, sagte Ludger. »Bei ihr ist noch was frei.«
Sie steuerten auf den Tisch zu.
»Ich hab noch genau vier Plätze«, sagte Eva lachend. »Das passt genau für vier gut aussehende junge Männer.«
Sie musterte Jan und Pelle. »Ihr seid bestimmt die Neuen, oder? Ich hab euch noch nie hier gesehen.«
»Wir sind heute erst angekommen«, sagte Pelle. »Mein Name ist Pelle, und das ist mein Freund Jan.«
»Freunde? Hm. Genau wie unsere Neuen.«
Jan horchte auf.
»Du hast auch jemanden von uns in deiner Gruppe? Das können ja dann wohl nur Isabella und Gina sein.«
In diesem Moment kamen Isabella und Gina mit einem kleinen, dunkelhaarigen Mädchen an den Tisch.
Der Platz neben Jan war noch frei und Isabella beeilte sich, dort Platz zu nehmen. Jan konnte nicht verhindern, sie breit anzustrahlen und griff spontan nach ihrer Hand. Die älteren Studenten am Tisch schmunzelten, denn sie wussten natürlich bereits, dass Jan und Isabella ein Paar waren.
Das dunkelhaarige Mädchen, Maria Sanchez meinte: »Wisst ihr eigentlich, dass ihr etwas ganz Besonderes seid? Normalerweise sind die Neuen immer absolute Einzelgänger, was wohl aus dem gnadenlosen Konkurrenzkampf während der Tests resultiert. Wir sind inzwischen im Fünften, da wissen wir dann mittlerweile, was wir voneinander zu halten haben. Da entstehen dann bereits wieder Freundschaften. Aber Erstsemester, die zusammenhalten wie Pech und Schwefel, das hatten wir noch nicht, und Pärchen, das ist ganz neu.«
»Wollt ihr damit sagen, dass es hier auf dem Mond zwischen euch niemals funkt?«, fragte Pelle verständnislos. Ihm war deutlich anzusehen, dass ihm die Erscheinung Marias sehr gefiel. Von Gina fing er sich dafür einen bitterbösen Blick ein.
»Das würde ich nicht sagen, aber man wird zum Einzelkämpfer und das belastet jede Beziehung. Wir glauben auch, dass man es in der Akademieleitung nicht so gern sieht, wenn unsere Aufmerksamkeit durch Liebschaften beeinträchtigt wird.«
»Da werden sie sich an uns aber die Zähne ausbeißen«, sagte Isabella entschlossen..
»Hört, hört«, meinte Eva. »Wisst ihr, dass schon Wetten darauf abgeschlossen werden, wie lange eure Beziehung noch hält?«
»Das darf doch nicht wahr sein!«, ereiferte sich Jan. »Wir sind eben erst eingetroffen – uns kennt in Wirklichkeit noch keiner.«
»Das ist so nicht ganz richtig. Wir verfolgen hier oben immer sehr interessiert, wie die Auswahlverfahren auf der Erde laufen. Wir wussten eure Ergebnisse bereits, als ihr noch auf der Abschlussfeier wart«, sagte Giovanni. »Herzlichen Glückwunsch übrigens für den neuen Rekord im Tank, Jan.«
Jetzt waren die Freunde doch etwas sprachlos.
»Jetzt schaut nicht so dumm aus der Wäsche, Leute«, sagte Eva. »Ihr werdet früh genug feststellen, dass es wichtig ist, sich für alles zu interessieren. Wie leicht kann es geschehen, mit einem von euch in einer Extremsituation auf engstem Raum zusammengepfercht zu sein. Dann will man schon wissen, mit wem man es zu tun hat. Ihr werdet‘s nicht anders machen. Ich möchte wetten, dass es keine Woche dauern wird, bis jeder von euch genau weiß, wie jeder von uns tickt. Das ist vollkommen in Ordnung so.«
Allmählich kam das Gespräch unter den alten und neuen Studenten besser in Gang und sie stellten fest, dass sie auf derselben Wellenlänge lagen.
Pelle starrte immer wieder zu Maria hinüber, deren schwarze Haare ihr hübsches Gesicht wie ein Vorhang einrahmten. Jan stieß ihn mit dem Finger in die Seite.
»Was soll das?«, zischte Pelle ihm leise zu.
Jan sah erst zu Gina hinüber, die sich angeregt mit Giovanni in Italienisch unterhielt. Dann beugte er sich zu Pelle hinüber. »Was ist los mit dir, Junge? Da drüben sitzt Gina und du suchst den Augenkontakt mit Maria. Findest du das fair?«
Pelle blitzte ihn verärgert an. »Gina und ich haben unsere Probleme. Ich hab keine Lust, das jetzt und hier zu diskutieren, okay? Andere Mütter haben auch schöne Töchter.«
Jan schüttelte den Kopf. »Ich versteh dich nicht.«
Pelle zuckte mit den Achseln. »Dann wären wir jetzt schon zu zweit ...«
»Was ist los?«, wollte Isabella wissen, doch Jan winkte ab. »Nicht jetzt, bitte.«
Später verabschiedeten sie sich voneinander und gingen auf ihre Zimmer, da sie für den kommenden Tag ausgeruht sein wollten. Pelle wollte eben in seinem Raum verschwinden, als Jan ihn aufhielt. »Was ist los, zwischen dir und Gina? Ich hatte angenommen, dass du sie magst.«
»Jan, lass gut sein ...«
»Nein, so einfach kommst du nicht weg. Ich kenn dich und ich hab mitbekommen, dass dir an Gina durchaus etwas liegt. Aber schon unten bei der NASA, als wir zum ersten Mal unter der Moonshuttle-1 standen, stimmte was nicht. Also?«
Pelle sah ihn genervt an. »Für euch zwei Turteltauben mag ja die Welt in rosaroten Farben erscheinen, aber es gibt auch noch die wirkliche Welt, weißt du?«
Jan hob hilflos seine Arme. »Was, in Gottes Namen, willst du mir damit sagen? Bist du etwa auf mich neidisch?«
»Ach Quatsch!« Er schlug mit seiner Faust gegen den Türrahmen. »Ja, verdammt, ich mag Gina und ich dachte eigentlich, dass sie mich auch mag.«
»Tut sie das etwa nicht?«
»Ach, ich weiß überhaupt nichts mehr ... Gina ist gebürtige Italienerin. Kannst du dir vorstellen, wie katholisch man in diesem Land ist?«
Jan war einen Moment sprachlos. »Du hast sie nicht etwa gedrängt, mit dir Sex zu haben, oder?«
»Ich hab sie zu überhaupt nichts gedrängt!«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Das ist dein Problem? Dass du das Mädchen nicht so schnell ins Bett bekommst? Mensch Pelle, wie lange kennt ihr euch jetzt? Ein paar Wochen? Mein Gott, etwas Zeit musst du euch beiden schon geben, um eure Beziehung aufzubauen. Du bist vermutlich wieder in deiner unvergleichlichen Art so bescheuert mit der Tür ins Haus gefallen, dass sie gar nicht anders konnte, als dich abzuwehren.«
»Jetzt tu nicht so, als würdest du mit Isabella nicht am liebsten ...«
»Ja, würde ich auch!«, entgegnete Jan heftig. »Aber so weit ist sie eben noch nicht und ich respektiere das.«»Du edler Held in schimmernder Rüstung!«
»Pelle, deine beißende Ironie kannst du dir schenken! Fall einfach nicht mit der Tür ins Haus.«
»Was soll denn das wieder heißen?«
Ludger schaute um die Ecke seines Zimmers. »Leute, wäre es zu viel verlangt, wenn ihr euer Liebesleben entweder leiser oder wenigstens in einem eurer Zimmer ausdiskutiert? Ich muss morgen fit sein und möchte liebend gern schlafen.«
»Entschuldige Ludger«, sagte Jan, schob Pelle in sein Zimmer und ging gleich hinterher. Leise schloss er die Tür hinter sich.
Pelle sah ihn forschend an. »Was wird das jetzt?«
»Pelle, ich versteh dich nicht. In Florida hast du Gina regelrecht angebaggert. Ich muss gestehen, dass ich dich um so was wirklich beneide. Du kommst mit Mädchen wirklich besser klar als ich. Dass Isabella und ich zusammen sind, ist ja nun nicht eben das Ergebnis meiner unvergleichlichen Eroberungskünste ...«
»Haha, das kann man wohl sagen. Ich hätte dich am liebsten manchmal geschubst, kann ich dir sagen.«
»Das meine ich doch. Dir fällt so was leicht und ich tu mich einfach schwer damit. Wäre mir Isabella nicht neun Schritte entgegengekommen, wäre ich den einen Letzten sicher nicht gegangen. Ich bin sicher, dass Gina dich ebenfalls mag. So, wie sie dich immer anschaut, aber du machst es selbst kaputt mit deiner Ungeduld. Ich finde es da auch nicht sonderlich hilfreich, wenn du dann in ihrer Gegenwart anfängst, Maria anzuschmachten. Was erwartest du? Dass eine Spanierin weniger katholisch ist? Vielleicht ist sie es nicht, aber ich bin der Meinung, du solltest erst dein Verhältnis zu Gina klären. Sie ist ein tolles Mädchen und ich denke nicht, dass sie so eine Behandlung verdient hat.«
Pelle biss sich nervös auf die Unterlippe. »War 's das jetzt?«
Jan sah ihn prüfend an. Als Pelle nichts weiter sagte, wandte Jan sich zur Tür. »Ja, das war's. Und nun geh ich schlafen. Aber denk wenigstens drüber nach.«
Pelle sah ihm nur stumm hinterher, als Jan die Tür von außen schloss.