4. Jumper-Prüfung

 

4.2 Die Jumper

Der erste Unterrichtstag war für die Neuen sehr anstrengend. Für die Sieben wurde ein eigener Klassenraum eingerichtet. Am ersten Tag erhielten sie ihren Lehrplan mit den Unterrichtseinheiten. Neben allgemeinen Fächern wie Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch fielen vor allem die technischen Fächer auf: Physik, Gravitationstechnik, Mathematik, Astronomie, Antriebstechnik. Es ging auch gleich los und nach den ersten zehn Stunden Unterricht fühlten sie sich wie gerädert. Ihre Zimmergenossen erklärten, dass es von jetzt an in diesem Tempo weitergehen würde und sie sich daran gewöhnen müssten. Trotzdem gab es bereits am zweiten Tag die erste Überraschung, als die Lehrkraft ihnen mitteilte, dass sie sich zur Anprobe der Raumanzüge einzufinden hätten. Es hieß, dass es für jeden Mondbewohner unerlässlich wäre, die Jumper zu beherrschen, da jeder kleinere Weg grundsätzlich mit einem solchen Fahrzeug zurückgelegt wurde.
Der Unterrichtstag neigte sich bereits dem Ende entgegen, als sie endlich komplett eingekleidet in ihren neuen Raumanzügen in der großen Fahrzeugschleuse standen.
Jan fand den Anzug einfach nur unbequem und schwer. Er fragte sich, was dieses Ding wiegen würde, wenn er es schon unter den niedrigen Schwerkraftbedingungen des Mondes als schwer empfand. Er sah sich um und entdeckte seine Kollegen, die in ihren Anzügen mit verspiegeltem Visier nicht zu erkennen waren. Namensschilder hatte man noch nicht vorbereitet. Sie würden jedoch in den nächsten Tagen noch an den Anzügen angebracht werden.
»Meine lieben Studenten«, drang es aus dem Helmlautsprecher. »wir kennen uns bereits, denn ich hab euch mit einem Jumper von der Moonshuttle-1 abgeholt. Mein Name ist Rick O'Hara, aber ich bevorzuge einfach Rick. Ich bin einer eurer Fluglehrer für den Jumper. Die ersten beiden Schüler heute sind Jan Lückert und Yves Dolbèrt. Folgt mir bitte.«
Sie liefen hinter Rick her und hatten Probleme, ihm zu folgen. Rick war den schweren Raumanzug gewöhnt und hatte sich einen äußerst ökonomischen Laufstil angewöhnt. Der Jumper, auf den er zuhielt, machte einen äußerst primitiven Eindruck. Er wirkte, wie aus Ersatzteilen zusammengeschraubt.
»Ein Jumper ist ein einfaches Gerät«, erklärte Rick. »Für jemanden, der nur Erfahrung mit den computergestützten Fluggeräten hat, die man den Leuten gern unten auf der Erde zeigt. Hier auf dem Mond brauchen wir in erster Linie diese rustikale Variante. Der Jumper bringt Personen und Lasten zuverlässig ans Ziel und ist leicht zu reparieren. Das ist wichtig, da die Düsen leicht versanden und sich zusetzen. Da ist es uninteressant, ob das Fahrzeug gut aussieht – man muss schnell mal mit dem großen Hammer auf das richtige Teil schlagen können.«
Rick stieg auf den Sitz des Piloten und deutete den beiden anderen, auf den verbliebenen beiden Sitzen Platz zu nehmen. Auch an diesen Sitzen befanden sich ein paar Bedienungselemente und Hebel.
»Schnallt euch gut fest, damit ihr nicht aus dem Sitz fallen könnt.«
Rick startete den Antrieb und steuerte den Jumper aus der Halle hinaus in die grelle Helligkeit des Mondtages. Wenige Hundert Meter entfernt setzte er das Fahrzeug sanft auf dem Boden auf und drückte eine rote Taste.
»So, jetzt kann Yves unseren Vogel steuern. Ich werde auch keine großen Vorträge halten. Einen Jumper fliegt man meist nach Gefühl. Ich erkläre jetzt die Bedienungselemente und dann geht es sofort los. Seid nicht zögerlich. Dies ist ein Schulungs-Jumper. Diese Dinger haben wir sehr robust ausgelegt. Also: Der große Hebel ist für die Hauptdüsen an der Unterseite. Damit bestimmt man im Grunde die Flughöhe. Die kleineren Hebel sind für links, rechts, hoch und runter. Immer erst den Haupthebel ziehen. Wenn die Höhe stimmt, kannst du mit den anderen Düsen experimentieren. Aber immer den großen Hebel festhalten, sonst verlieren wir Höhe.«
»Wie, ich soll einfach so losfliegen?«, fragte Yves vorsichtig. Es war ihm anzumerken, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte.
»Klar!«, rief Rick. »Learning by Doing. Anders geht‘s sowieso nicht. Nur zu, wir sind weit von den Gebäuden weg. Was soll passieren? Der Sand ist weich. Schlimmstenfalls setzen wir etwas härter dort auf.«
Yves atmete noch einmal tief durch, dann zog er an dem großen Hebel, worauf der Jumper einen großen Satz machte. Wären sie nicht angeschnallt gewesen, wären sie aus ihren Sitzen gefallen. Vor Schreck ließ Yves den Hebel los, worauf der Jumper sofort zu fallen begann. Hektisch zog Yves an dem Hebel und das Fahrzeug hielt mit einem Ruck an, begann dann sogar zu steigen.
Jan musste sich darauf konzentrieren, sich nicht zu übergeben.
»Spürst du jetzt, wie der Jumper reagiert?«, fragte Rick. »Je ruhiger und flüssiger du die Hebel bedienst, um so ruhiger verhält er sich im Flug. Wir sind jetzt auf fast zweihundert Meter. Versuch mal, uns auf hundertfünfzig Meter zu bringen und dort zu halten.«
»Und woran erkenn ich, wie hoch ich bin?«
Rick deutete auf ein kleines Instrument in der Steuerkonsole. »Ein Lasermesssystem. Es zeigt dir ständig an, wie hoch du bist.«
Yves bekam tatsächlich etwas Gefühl und nach einiger Zeit schaffte er es, den Jumper auf der gewünschten Höhe zu halten.
»Jetzt nehmen wir die anderen Hebel hinzu und fliegen eine Runde über der Station. Aber immer schön die Höhe beachten, der Rest ist erst mal egal.«
Yves brauchte etwa eine Stunde, dann konnte er den Jumper einigermaßen fliegen, nur als er ihn dann am ursprünglichen Startplatz landen sollte, wurde es eine etwas harte Landung und die Plattform versank fast zur Hälfte im weichen Mondstaub.
Der nächste Schüler war Jan. Er hatte die ganze Zeit über genau aufgepasst, wie Yves es machte und nutzte nun dessen Erfahrungen. Vorsichtig zog er an dem großen Hebel und registrierte, inwieweit der Flieger darauf ansprach. Im ersten Moment wurde lediglich der feine Staub aufgewirbelt und nahm ihnen komplett die Sicht. Jan zog etwas stärker und nach einer Weile setzte sich der Jumper in Bewegung. Jan kam sich vor, wie in einem Computerspiel.
»Wie halte ich eigentlich den Jumper grade?«
»Gar nicht«, sagte Rick. »Die Düsen für den Vertikalflug sind synchronisiert. So viel automatische Steuertechnik haben wir uns dann doch gegönnt. Ein Jumper hält sich immer automatisch in der Waage.«
Das erleichterte es ihm, sich auf das eigentliche Fliegen zu konzentrieren.
Rick fühlte gleich, dass er hier jemanden am Steuer hatte, der mit der Maschine zu einer Einheit verschmolz. Er musste überhaupt nicht eingreifen und betrachtete mit Wohlwollen, wie Jan die Möglichkeiten der Maschine austestete und richtig Spaß daran hatte. Als sie zurück waren und in der Halle standen, verabschiedete Rick sie mit den Worten, dass sie am kommenden Tag einen Flug mit einem ihrer Paten unternehmen würden. Dann ginge es etwas weiter hinaus und dann könnten sie zeigen, ob sie den Jumper wirklich beherrschen.
Am Abend in der Kantine traf sich die Gruppe, die bereits am Vortag zusammengesessen hatte. Sie hatten sich eine Menge zu erzählen. Wie sich herausstellte, waren die Freunde mit unterschiedlichem Erfolg den Jumper geflogen. Nelson, Isabella und Jan schienen nie etwas anderes getan zu haben, während die anderen massive Schwierigkeiten hatten.
Eva zog eine Liste hervor und legte sie auf den Tisch. »Wir sind angewiesen worden, mit euch morgen einen Testflug zu machen. Hier ist eine Liste. Ich fliege mit Jan, Maria mit Isabella, Pelle mit Giovanni und Ludger mit Gina. Wir sollen uns morgen um neun in der Fahrzeugschleuse treffen und erhalten dort unsere Ziele.«
»Ziele?«, fragte Jan. »Wir müssen Ziele ansteuern?«
Eva nickte. »Das machen sie immer so. Wenn ihr diese Aufgabe löst, bekommt ihr eure Flugerlaubnis für die Jumper und dürft euch jederzeit einen aus dem Fahrzeugpark ausleihen.«
»Du scheinst dich darauf zu freuen, morgen mit mir zu fliegen«, sagte Jan. »Kann das sein?«
Eva lächelte verschmitzt.
»Es macht immer Spaß, mit einem netten, gut aussehenden Jungen etwas zu unternehmen.«
Isabella warf Eva einen undeutbaren Blick zu. Jan war sich sicher, dass Eifersucht im Spiel war. Jan fand es lächerlich, denn schließlich stammte die Liste nicht von Eva – sie hatte sie ihnen lediglich bekannt gegeben.
An diesem Abend wollte zwischen Jan und Isabella keine richtige Stimmung aufkommen, denn Eva unternahm alles, um Jans Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Isabella erhob sich. »Ich denke, ich gehe besser schlafen.«
»Aber warum denn?« Jan sah sie ratlos an. »Wir sitzen doch hier so nett zusammen.«
Sie warf ihm einen bösen Blick zu. »Du vielleicht. Ich hab nicht das Gefühl, dass ich noch gebraucht werde.«
»Aber ...«
»Bemüh dich nicht. Ich finde mein Zimmer ganz allein.« Sie drehte sich um und schritt schnell zur nächsten Tür. Jan starrte ihr hinterher und er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Als sein klares Denken wieder eingesetzt hatte, wandte er sich zu Eva um. »Fandest du das eigentlich gut, wie du mit Isabella umgesprungen bist?«
Sie zuckte nur mit den Schultern und warf ihm einen vieldeutigen Blick zu.
„Nein, im Ernst Eva, was sollte dieses ganze Theater gerade? Du weißt ganz genau, wie Isabella und ich zueinanderstehen, aber du tust alles, um einen Keil zwischen uns zu treiben.«
Eva lächelte leicht. »Ist dir noch nicht in den Sinn gekommen, dass es merkwürdig ist, wie leicht es ist, einen Keil - wie du es nennst - zwischen euch zu treiben? Vielleicht ist nicht sie die Richtige ...«
»Sondern etwa du?«, fragte Jan aggressiv zurück.
»Wer weiß?«, meinte Eva. »Man könnte es ja versuchen, herauszufinden.«
Jan war einen Moment vollkommen sprachlos und suchte nach Worten. Was bildete sich dieses Mädchen ein? Er erhob sich, wobei er im Eifer des Gefechts die geringe Schwerkraft des Mondes vergaß und bis zur Decke flog, was bei Eva zu einem Ausbruch der Erheiterung führte.
»Verdammt Eva, du bist einfach unmöglich!«, schrie er sie an. »Was hast du eigentlich davon, wenn du versuchst, Isabella und mich auseinanderzubringen? Du kennst weder sie noch mich!«
Eva lehnte sich etwas auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte unbeeindruckt ihre Arme hinter dem Kopf. »Ach Jan. Ich hab es im Gefühl, dass es schön werden könnte mit uns beiden. Du siehst es alles viel zu eng. Genau genommen kennst du deine Isabella auch nicht. Wann hattet ihr euch doch gleich kennengelernt? Man muss sehen, wo man bleibt.«
Jan wäre ihr am liebsten an die Gurgel gefahren und hielt sich nur mühsam zurück. Mit vor Zorn bebender Stimme sagte er: »Eva, du bist ein verdammtes, durchtriebenes Aas.«
Er wandte sich um und verließ die Kantine.
»Bis morgen, mein Schatz!«, rief sie ihm spöttisch hinterher, bevor er geräuschvoll die Tür hinter sich zuschlug. Evas Blick traf den Pelles, der nur den Kopf schüttelte.
»Was?!«, fragte sie aggressiv. »Man wird doch wohl noch einen kleinen Versuch starten dürfen, oder?«
»Das war‘s dann wohl«, meinte Pelle und erhob sich. Gina und Ludger taten es ihm gleich. Ohne ein weiteres Wort an Eva verließen die Drei ebenfalls die Kantine.