4. Jumper-Prüfung

 

4.3 Prüfung

Am nächsten Morgen traf sich die Gruppe wieder in der Schleuse. Inzwischen hatte man die Namensschilder an den Raumanzügen angebracht, sodass man auch wusste, wen man vor sich hatte. Rick hatte sieben Jumper bereitgestellt und erklärte ihnen die Regeln. Jeder von ihnen erhielt ein konkretes Ziel. Es handelte sich dabei um eine von ihm im Gelände versteckte Markierung, die es zu finden und mitzubringen galt. Jan wurde an eine moderne Schnitzeljagd erinnert. Als alle ihre Aufgaben erhalten hatten, begaben sie sich zu ihren Fliegern und schnallten sich darauf fest.
»Es ist nicht leicht, was Rick uns da gegeben hat«, sagte Eva. »die Markierungsboje liegt mitten im Mare Nubium. Das bedeutet eine Flugzeit von bestimmt einer Stunde und dann müssen wir das Ding noch finden.«
»Aber sendet sie nicht ein Signal aus?«, fragte Jan. »Können wir sie dadurch nicht orten?«
»Stell es dir nicht so einfach vor. Die Bodenstruktur im Mare Nubium ist sehr verwirrend. Es ist nicht überall nur eine homogene Staubdecke. Oft findet man auch eine regelrechte Steinwüste. Wenn er die Boje dort versteckt hat, können wir sie vielleicht hören, aber sehen werden wir sie dadurch nicht. Flieg erst mal los. Kurs bei zwei Uhr, wenn geradeaus zwölf Uhr ist.«
»Was ist das für eine dämliche Kursangabe?«, fragte Jan.
»Dämlich? Junge, du bist neu hier. Hat der Mond vielleicht ein Magnetfeld? Können wir die normalen Himmelsrichtungen verwenden? Nein. Wir müssen uns an den Sternen orientieren. Du wirst es auch noch lernen, Kurse durch einen kurzen Blick nach oben festzulegen, aber zurzeit kannst du es nicht, deshalb die Eselsbrücke mit den Uhrzeiten.«
»Okay, das hab ich verstanden«, sagte Jan und ließ die Triebwerke seines Jumpers anlaufen. Er blickte sich noch einmal zu dem Jumper um, auf dem Isabella saß, und winkte ihr zu. Er war sich nicht sicher, ob sie es bemerkt hatte, aber sie erwiderte seinen Gruß nicht. Es versetzte Jan einen Stich, denn er war sich keiner Schuld bewusst. Es war Eva, die durch ihr Verhalten diese abweisende Stimmung ausgelöst hatte. Leider hatten sie keine Gelegenheit mehr gehabt, sich deswegen auszusprechen. Er beschloss, dieses Thema bei Eva anzusprechen. Jetzt gab er erst einmal Gas und ließ den Jumper auf eine Höhe von etwa fünfzig Meter steigen, schaltete die Antriebsdüsen hinzu und setzte den Flieger in Bewegung.
»Den Bogen hast du aber schon raus«, meinte Eva. »Das fühlt sich flüssig an.«
Jan reagierte nicht darauf.
»Was ist los mit dir, Jan? Hab ich dir was getan?«
»Es ist deine Schuld, dass Isabella so abweisend zu mir ist!«, platzte er heraus.
»Ach daher weht der Wind. Sie hat Angst, dass ich dich ihr ausspanne«, sagte Eva spöttisch. »Aber gehören dazu nicht immer zwei? Ich hätte nichts dagegen, mit dir eine Affäre zu beginnen – da bin ich ehrlich. Du siehst gut aus, bist intelligent. Oder gefalle ich dir etwa nicht?«
»Ach hör doch auf, Eva!«, rief Jan ärgerlich. »Du weißt genau, wie du aussiehst und wie du auf Männer wirkst. Ich will Isabella nicht verlieren.«
»Vielleicht weißt du gar nicht, was du verpasst ...«, sagte Eva und ließ den Rest offen.
Jan antwortete nicht und ließ stattdessen den Jumper schneller werden.
»Flieg bitte nicht so schnell«, forderte Eva ihn auf. »Jumper sind zwar zuverlässig, aber nicht für diese Geschwindigkeiten gemacht. Wenn wir spontan manövrieren müssen, wird ihre Fluglage oft instabil.«
Die Stunde bis in die Nähe der Markierungsboje wurde sehr langweilig. Jan war nicht mehr bereit, sich ein Gespräch über eine Beziehung zu Eva aufzwingen zu lassen und so ließ Eva ihn damit in Ruhe.
Seit Minuten hörten sie in ihren Helmlautsprechern das Signal der Boje. Jan führte den Jumper in einem systematischen Zickzack-Kurs und lauschte auf die Lautstärke des Signals. Nach einer Weile wussten sie, in welcher Richtung sie suchen mussten und fanden die Markierung dann auch relativ schnell. Jan landete den Jumper neben der Boje und gemeinsam luden sie das Gerät auf die Ladefläche ihres Fliegers. Während Jan das Gerät mit Spannbändern befestigte, schaltete Eva das Ortungssignal ab, da das ständige Piepsen in ihren Helmempfängern sie nervös machte.
»Können wir uns nicht jetzt mit der Station in Verbindung setzen?«, fragte Jan.
»So weit reichen unsere Helmfunkgeräte nicht. Wir müssen schon zurückfliegen.«
»So ein Blödsinn! Der Test hatte doch nur den Zweck, uns unsere Ziele finden zu lassen, oder? Wieso geben sie uns da nicht stärkere Funkgeräte? Was, wenn uns etwas zustoßen würde?«
»Hast du etwa Angst?«, fragte Eva.
»Quatsch! Aber der Gedanke ist doch nicht abwegig.«
Eva stimmte zu. »Ja, du hast recht, aber wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Auch wenn die Helmsender nicht stark genug sind, hat der Jumper selbst noch einen Notsender, der sich aktiviert, wenn etwas geschieht.« Sie deutete mit der Hand auf einen kleinen Kasten unter der Steuerkonsole. »Das ist er. Er wird im Notfall ein starkes Ortungssignal aussenden und dann wird man von der Akademie aus in kürzester Zeit gefunden.«
»Ein wenig beruhigt mich das schon«, gab Jan zu. »Dann wollen wir mal zurückfliegen.«
Sie setzten sich wieder auf ihre Sitze und Jan startete erneut die Triebwerke. Leicht wie eine Feder hob der Flieger aus dem Mondstaub ab. Er musste lächeln, als ihm bewusst wurde, wie gut er dieses Fahrzeug bereits im Griff hatte. Eva musste seine Gedanken erraten haben.
»Du machst das, als hättest du nie etwas anderes getan, weißt du das?«
»Was gibt das? Willst du dich jetzt wieder bei mir anbiedern?«
»Verdammt Jan! Ich hab‘s ja verstanden, dass du nichts mit mir anfangen willst. Nicht jede meiner Äußerungen ist gleich Anbaggerei. Ich finde wirklich, dass du den Jumper fantastisch im Griff hast. Jetzt ist noch eine Last hinten auf dem Flieger, aber du steuerst ihn, als wäre sie überhaupt nicht vorhanden. Das ist super.«
Auch wenn Jan es nicht wahrhaben wollte, aber insgeheim freute er sich über Evas Lob. Wieder etwas versöhnt, brachte er den Jumper auf den Kurs zur Akademie und ließ ihn etwas höher fliegen als auf ihrem Hinflug.
Sie waren bereits eine Viertelstunde lang geflogen, als sich der Jumper plötzlich merkwürdig schüttelte.
»Was war denn das?«, fragte Jan.
»Ich habe keine Ahnung«, gab Eva zu. »Ich hab so was noch nie erlebt. Wie sieht es denn mit dem Treibstoff aus? Ist noch genug in den Tanks?«
»Damit könnten wir sicher fast den Mond umkreisen. Das kann es nicht sein.«
Der Jumper bockte erneut und bekam mit einem Mal eine bedenkliche Schieflage.
»Einige der Höhentriebwerke haben ausgesetzt«, stellte Eva nervös fest. »Vielleicht ist es besser, runterzugehen und die Brennstoffleitungen zu checken. Es kann auch sein, dass Düsen versandet sind. Das kommt schon mal vor.«
»Ich glaub, du hast recht«, sagte Jan und drückte den Hebel für die Höhe leicht herunter.
In diesem Moment wurde es auf einmal ganz ruhig auf dem Jumper. Die Triebwerke fielen komplett aus. Jan hatte den Jumper relativ schnell fliegen lassen verlor nun deutlich an Höhe.
»Scheiße!«, rief Jan. »Wir schmieren ab!«
Er versuchte noch, den Antrieb wieder zu starten, wie man es ihm gezeigt hatte, aber die Düsen blieben stumm. Schnell näherten sie sich dem Boden.
»Das wird unangenehm«, sagte Jan. »auch, wenn dort unten nur Staub ist. Festhalten!«
Der Jumper berührte den Boden und zog erst eine Spur in den Mondstaub, was ihn aber nur unmerklich verlangsamte. Die Front des Fahrzeugs bohrte sich tiefer in den Staub und wirbelte ihn auf. Jan und Eva wurden von einer wahren Lawine übergossen und konnten nichts mehr sehen. Die Beharrungskräfte zerrten an ihren Gurten und Jan befürchtete schon, sie würden den Anzug beschädigen, wenn sie so tief einschnitten, doch diese Befürchtung war grundlos. Die Anzüge waren für extreme Belastungen ausgelegt, nicht aber deren Träger.
Der Jumper traf unter der Stauboberfläche auf einen Felsen und richtete sich auf. Er hob noch einmal kurz vom Boden ab und schleuderte, sich überschlagend wieder auf den Boden, wo er auf eine staubfreie Stelle schlug, an der ein flacher Felsen aus dem Boden ragte. Der Schlag ließ die Gurte endgültig reißen und Jan wurde aus dem Sitz des Jumpers geschleudert, was sein Glück war, denn er wäre sonst von der Masse des Fluggerätes erschlagen worden. Jan stürzte in eine Staubpfütze und konnte nichts mehr sehen.