12. Rettung?

12.2 Wiedersehen in Herne


Die Formalitäten waren schnell erledigt. UNO-Angehörige genossen einen besonderen Status. So war es auch kein Problem, den Gleiter auf dem Flugfeld für einige Zeit zu parken, so lange Jan und Isabella sich in Deutschland aufhielten.
In der Ankunftshalle des Flughafens steuerte Jan den Schalter einer Autoverleihfirma an und mietete einen PKW. Die Vorlage seines UNO-Ausweises öffnete ihm auch hier Tür und Tor. Der Mitarbeiter der Firma hob die Augenbrauen und sah sie verblüfft an.
»Sie sind von der UNO? Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber sie wirken noch sehr jung auf mich.«
Isabella lächelte ihn an. »Vielleicht liegt es ja auch daran, dass wir noch recht jung sind.«
Dem Mann war die Angelegenheit sichtlich unangenehm. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sie glauben nicht, was uns hier am Counter alles vor die Nase gehalten wird. Und in ihrem Fall geht es ja auch um die Kostenübernahme.«
»Rufen Sie doch einfach in New York bei der UNO an«, schlug Jan vor. »Oder besser in Florida bei der NASA. Dort unterhält die Akademie einen Stützpunkt.«
»Akademie?«
»Wir sind keine normalen Mitarbeiter der UNO. Wir arbeiten für die Raumfahrtakademie auf dem Mond und sind eben erst hier gelandet. Fragen Sie dort nach. Man wird Ihnen bestätigen, dass unsere Ausweise in Ordnung sind.«
»Sie sind Raumfahrer? Und sind hier ... in Düsseldorf mit einem Shuttle gelandet?«
Jan lachte leise. »Nein, nicht mit einem Shuttle. Die alten Shuttles, die Sie meinen, sind nun wirklich längst eingemottet. Wir sind in einem Orbitalgleiter gekommen. Er steht draußen auf dem Flugfeld. Bekomme ich nun einen Wagen?«
Der Mann starrte wiederholt auf die Ausweise und in ihre Gesichter, dann traf er eine Entscheidung. »Ich denke, ich glaube Ihnen. Was brauchen Sie denn und für wie lange ...«
Schließlich saßen sie in einem Leihwagen und fuhren ins Ruhrgebiet, wo Jans Eltern lebten. Isabella sah ständig interessiert aus dem Fenster. »Es ist unfassbar, wie dicht dieses Land besiedelt ist.«
»Wieso meinst du das?«
»Nun, ich komm aus Rumänien. Dort leben nicht so viele Menschen und es ist überwiegend ländlich. Das Land wirkt dort weit und leer - so wie in den Staaten auch. Aber hier sind die Straßen eng und wo man hinschaut, sind Siedlungen und Häuser. Das wirkt fremd auf mich. Kannst du das nicht verstehen?«
»Doch, ich glaub schon. Es wird dir schon noch gefallen, wenn du es näher kennengelernt hast.«
Jan fühlte sich sofort wieder heimisch, als er den Wagen über die stark befahrene Autobahn steuerte. Er freute sich darauf, seine Eltern wiederzusehen, die er seit vielen Monaten nicht zu Gesicht bekommen hatte. Einige Mails oder Telefonate waren die einzige Verbindung zu ihnen. Als er in die kleine Straße einbog, in der sein Elternhaus stand, erfasste ihn ein wehmütiges Gefühl. Hier war er aufgewachsen, hier hatte er mit seinen Freunden gespielt, in dieser Stadt war er zur Schule gegangen. Trotzdem würde er nicht mehr oft hierher kommen. Er bezweifelte, dass er jemals wieder in dieser Straße sein würde, wenn seine Eltern eines Tages nicht mehr lebten. Er schüttelte diesen Gedanken ab und parkte das Auto am Straßenrand.
»Hier ist es?«, fragte Isabella.
»Ja, das Haus, gleich da drüben.« Jan deutete auf ein kleines, zurückliegendes Haus auf der anderen Straßenseite.
Als Jans Mutter die Tür öffnete, fiel sie fast in Ohnmacht, als sie ihren Sohn erkannte. Maria und Paul Lückert freuten sich riesig, dass er sie endlich einmal besuchte. Isabella stand für einen Moment etwas unbeachtet im Hintergrund und lächelte, als sie die herzliche Begrüßung der Lückerts sah.
Endlich bemerkte Maria Lückert, dass noch jemand hinter ihrem Sohn stand. Sie lächelte, ging auf Isabella zu und nahm auch sie in den Arm. »Herzlich willkommen, Isabella! Komm doch herein, wir müssen nicht auf der Türschwelle stehen bleiben.«
»Ich find es schön, dass du Deine Freundin endlich mal zu uns nach Hause mitbringst«, sagte Jans Vater.
Jan grinste und zwinkerte Isabella zu. »Na ja. Ich hätte Isabella sicher schon vor langer Zeit mit nach Hause gebracht, wenn wir nicht einen so verrückten Beruf hätten, der das verhindert. Dann hättet Ihr euch langsam an sie gewöhnen können. So ist es vielleicht etwas überfallartig, wenn ich euch mitteile, dass sie eigentlich meine Ex-Freundin ist.«
Jans Eltern starrten ihn entgeistert an. »Ex-Freundin? Aber ...«
»Wir haben uns verlobt.«
»Ihr habt ...?« Jans Vater fehlten die Worte.
»Verlobt. Richtig.« Jan deutete auf Isabella. »Vater, Mutter. Darf ich euch eure neue Tochter vorstellen? Wir beabsichtigen, bald zu heiraten.«
Für einen langen Moment hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Jan befürchtete bereits, etwas Falsches gesagt zu haben, doch dann polterte sein Vater los: »Das muss gefeiert werden! Maria haben wir noch Sekt im Haus?«
Jan grinste breit, während Isabella noch etwas zurückhaltend war.
Maria nahm ihren Sohn in die Arme. »Jan, ich freu mich so für euch!«
Paul betrachtete die Szene einen Moment und wandte sich Isabella zu. »Dann darf ich doch sicher meine zukünftige Schwiegertochter drücken.«
Ehe sie wusste, wie ihr geschah, schnappte sie Jans Vater und umarmte sie. »Dass ich das noch erleben darf! Unser Sohn will heiraten – und dann auch noch so ein nettes Mädchen.«
»Aber Sie kennen mich doch noch gar nicht richtig«, wandte Isabella ein, als sie wieder zu Atem gekommen war..
Maria winkte ab. »Isabella, du glaubst nicht, wie oft Jan dich in seinen Mails erwähnt und wie er über dich schreibt. Wir wissen mehr über dich, als du ahnst und wir sind froh, dass Ihr euch so gut versteht. Unseren Segen habt Ihr jedenfalls. Wisst Ihr schon wo und wann Ihr heiraten werdet?«
Jan verzog sein Gesicht. »Das ist der einzige Haken an der Sache. Wir müssen in spätestens drei Wochen auf den Mond zurück und wollen auch nach Florida, um Isabellas Eltern zu besuchen. Deshalb werden wir standesamtlich in der Akademie heiraten. Jedenfalls haben wir dort bereits einen Termin in der Verwaltung.«
Maria machte ein enttäuschtes Gesicht. »Standesamtlich? Und auf dem Mond?« Sie sah Isabella an. »Du bist doch auch katholisch, oder nicht? Möchtest du denn nicht in einer Kirche heiraten?«
Isabella warf Jan einen kurzen Blick zu. »Darüber haben wir bisher noch nicht gesprochen. Vielleicht können wir das ja irgendwann im Rahmen eines längeren Erdurlaubs nachholen.«
Jan blickte sie fragend an. »Meinst du wirklich? So richtig in Weiß?«
Ihre Augen leuchteten und sie nickte.
Paul nahm seinen Sohn beiseite. »Männer sind da oft nicht so romantisch veranlagt, aber stell ihnen eine Hochzeit in Weiß in Aussicht und sie bekommen feuchte Augen.«
»Paul!«
Er hob fragend die Arme. »Was denn? Das stimmt doch. Eure Stimme mag etwas anderes sagen, aber eure Augen verraten euch. Da seid ihr alle gleich.«
»Paul, zieh das nicht ins Lächerliche!«
»Mach ich doch gar nicht. Es ist eine Tatsache.«
Jan sah Isabella an. »Hat mein Vater recht?«
Das Strahlen in ihren Augen war ihm schon Antwort genug. Sie musste nichts mehr sagen.
»Würdest du denn nicht wollen?«, fragte sie zaghaft.
»Ich hab mir darüber bisher keine Gedanken gemacht«, gab er zu. »Aber ich wäre nicht dagegen.«
Maria war inzwischen mit einer Flasche Sekt aus der Küche gekommen und hielt ein paar Gläser in der Hand. »Paul mach dich mal nützlich und öffne die Flasche.«
Der Korken knallte an die Decke und Jans Vater musste den ersten Schwall Sekt direkt vom Flaschenrand trinken, um nichts zu verschütten. »Ein bisschen enttäuscht bin ich ja schon darüber, dass wir die Hochzeit unseres einzigen Sohnes nicht mitbekommen werden, aber wenn ihr versprecht, das später auf der Erde noch nachzuholen, will ich mal nicht so sein ...«
Er reichte jedem ein Glas. »Auf euch! Mögt ihr genauso glücklich werden, wie Maria und ich.«
Nachdem sie einen Schluck getrunken hatten, fragte Maria: »Was sagen denn deine Eltern dazu, Isabella? Ihr habt es ihnen doch schon gesagt, oder?«
Jan druckste ein wenig herum. »Nein, eigentlich seid Ihr die Ersten, denen wir es gesagt haben.«
»Wie, du hast nicht bei den Brauteltern um die Hand von Isabella angehalten?«
»Mutter! Wir leben im 21. Jahrhundert.«
»Na und? Etwas Tradition hat noch niemandem geschadet. Was tust du, wenn Isabellas Vater nicht einverstanden ist?«
Isabellas Lachen unterbrach ihren Disput. »Da hat Jan recht. Wir leben im 21. Jahrhundert und sehen die Entscheidung, zu heiraten durchaus als unsere private Angelegenheit an. Wir werden es meinen Eltern sagen, aber sie können keinen Einfluss auf unseren Entschluss nehmen.«
»Siehst du, Maria? Die Jugend von heute denkt da anders. Sie werden ihren Weg schon gehen. Hättest du mich damals nicht geheiratet, wenn dein Vater mich abgelehnt hätte?«
Maria presste ihre Lippen aufeinander.
»Ich warte.«
»Natürlich hätte ich dich trotzdem geheiratet ...«
Paul gab seiner Frau einen Kuss. » ... und ich hätte dich notfalls auch geraubt.«
Jan verschluckte sich fast an seinem Sekt und Isabella lachte schallend. Er setzte das Glas ab und wandte sich seinen Eltern zu. »Wenn ich ehrlich bin – wir hatten eigentlich vor, euch nach Florida mitzunehmen und mit Isabellas Eltern zusammen eine Art Vorfeier zu machen. Was haltet Ihr davon?«
Maria und Paul Lückert waren sprachlos.
»Aber wir können doch nicht so einfach aufspringen und mit euch nach Amerika fliegen«, sagte Maria. »So ein Flug kostet eine ganze Menge und dein Vater muss auch erst klären, ob er so spontan Urlaub bekommt.«
»Dann klär ab, ob du den Urlaub bekommst«, bat Jan seinen Vater. »Über den Flug macht euch keine Gedanken. Wir haben in Düsseldorf einen Gleiter stehen, den wir nutzen können, um eben über den Teich zu fliegen.«
»Einen Gleiter?«, fragte Paul entgeistert. »Junge, du meinst nicht so einen Flieger, wie sie ihn benutzen, um zu den Raumstationen zu fliegen?«
Isabella lachte. »Doch Herr Lückert, genau so einen Flieger meint er. Wir sind damit aus dem Orbit gekommen. Man kann damit aber auch wie mit einem herkömmlichen Flugzeug fliegen – nur etwas schneller.«
»Aber wir können doch mit so einem Ding nicht mal so einfach eine Privatreise machen«, wandte Paul ein. Es war ihm anzusehen, dass er beim Gedanken daran, in  einen Gleiter zu steigen, ein mulmiges Gefühl hatte.
Jan sah ihn fragend an. »Warum nicht? Wir sind Mitarbeiter der UNO und unser Hauptquartier ist New York. Unser zentraler Raumhafen ist in Florida. Wir fliegen einfach unsere Basis an. Niemand verbietet es, wenn man bei solchen Flügen Passagiere mit an Bord nimmt. Check das mit deinem Urlaub und lasst uns packen. Es geht nach Florida – in die Wärme!«
»Und zu meinen Eltern«, fügte Isabella hinzu.
Einen Tag später waren die Formalitäten bereits erledigt. Jans Vater bekam seinen Urlaub und Maria hatte rasch ein paar Sachen zusammengepackt, die sie in Florida brauchen würden. Jan hatte in der Zwischenzeit mit dem Flughafen gesprochen und erfahren, dass ein paar Stunden nach ihrer Ankunft ein Tanklastzug aus Oberpfaffenhofen eingetroffen war, um den Gleiter startbereit zu machen. Techniker hatten die Vorrichtung für den Bremsfallschirm wieder für die nächste Landung vorbereitet. Der Gleiter wartete nur darauf, in die Luft gebracht zu werden.