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12. Rettung?
12.4 Zwischenspiel
Homer Sherman grübelte während der Rückfahrt von den Grimadius zu seinem Büro. Er hatte zwar gewusst, dass die GINA DACCELLI mit den beiden Piloten Lückert und Grimadiu im Anflug auf die Erde war, doch war ihm nicht bekannt gewesen, dass die Zwei heiraten wollten. Die Begrüßung und die Fahrt ans Südende von Merrit Island war geplant gewesen. Eine Hochzeit unter Akademieangestellten hatte es bislang noch nicht gegeben und eine Premiere dieser Art verlangte eigentlich nach etwas ganz Besonderem. Er zermarterte sich das Hirn, doch es fiel ihm nichts Passendes ein.
In seinem Büro angekommen, blickte er auf sein Diensttelefon. Greg Haunter hatte mehrfach angerufen.
Er hob den Hörer ab. »Greg? Gab es einen wichtigen Grund für deine Anrufe? Du hättest mich auch auf dem Handy erreichen können.«
»Ach Homer. Nein, so wichtig war es nun auch wieder nicht. Ich wollte dir eigentlich nur die Kopien der Akademie-Dienstpläne bringen und ... nun ja ... eigentlich wollte ich dich zum Barbecue zu uns einladen. Lindsey hat ein paar Leute eingeladen und ich dachte einfach, es würde dir nicht schaden, einmal unter Menschen zu kommen.«
Homer wollte schon ablehnen, zögerte dann jedoch. Warum eigentlich nicht? »Greg, ich danke dir für die Einladung. Ich komme. Wann soll die Sache steigen?«
»Am Samstag. Ich komm gleich rüber und bring die Kopien mit.«
Bevor Homer noch etwas sagen konnte, hatte Greg bereits aufgelegt. Er fragte sich, wieso er eigentlich zugesagt hatte. Jetzt war er in seinem eigenen Versprechen gefangen. Dabei lebte er normalerweise eher zurückgezogen und pflegte nur selten Kontakte zu Verwandten oder Freunden. Er erhob sich und trat ans Fenster. Es war nicht der Ausblick, der ihn reizte, denn viel mehr als einen betonierten Platz mit einigen Autos darauf gab es nicht zu sehen. Aber Homer brauchte den Blick nach draußen zum Nachdenken.
Wer war er eigentlich? Oft hatte er sich diese Frage bereits gestellt. Es war ihm bewusst, dass es einiges in seinem Leben gab, auf das er rückblickend nicht stolz sein konnte. Seine so genannten »besten Jahre« hatte er im Dienst des CIA verbracht. Damals war er ein aufrechter Patriot gewesen. Alle waren sie Patrioten gewesen - überzeugt davon, das Richtige zu tun. Feindbilder waren klar. Es galt, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten gegen die Infiltration durch die Kommunisten zu schützen und um das zu erreichen, war jedes Mittel recht. Wie naiv er gewesen war - und wie stolz, einer aus der »letzten Linie der Verteidigung« zu sein, der oft im Auslandseinsatz direkt in den Feindstaaten seinen Dienst verrichtete. Er war so verbohrt gewesen, dass er sogar angenommen hatte, es wäre für einen CIA-Agenten normal, dass die Ehefrau ihn verlässt. Dieser Beruf ist einfach Gift für jede Ehe. Er konnte nur selten bei seiner Frau sein, und wenn er zu Hause war, durfte er nicht über das sprechen, das er tat und das ihn selbst nachts noch beschäftigte. Einsamkeit ist ein großes psychologisches Problem aller Agenten, und auch wenn man ihnen immer wieder eingehämmert hatte, dass sie alle aus einem besonders harten Holz geschnitzt wären, hatte es einfach nur wehgetan, als seine Frau ihn verlassen und ihre gemeinsame Tochter mitgenommen hatte.
Damals hätte er diesen Job hinwerfen müssen, aber er hatte sich nur noch stärker in die Arbeit gestürzt und sich für gefährliche Missionen im gesamten Ostblock gemeldet. Den Enthusiasmus der ersten Jahre hatte er jedoch nie wieder entwickeln können. Sicher war es lächerlich, sich die Schuld am Tod seiner Tochter Savannah zu geben. Sie war bei einem Autounfall ums Leben gekommen und er hätte auch nichts dagegen unternehmen können, wenn er bei ihr gewesen wäre. Aber er war zu diesem Zeitpunkt in Bukarest gewesen und hatte erst davon erfahren, als die Beerdigung schon Wochen vorbei war. Nach Savannahs Tod hatte sich etwas in ihm verändert oder er selbst hatte sich verändert - das wusste er selbst nicht so genau. Er begann, seine Aufträge infrage zu stellen und anders zu bewerten, als ein CIA-Agent es tun sollte.
Schließlich quittierte er seinen Dienst und fand glücklicherweise eine neue Aufgabe im Prüfungsbereich der UNO-Akademie. Diese Arbeit machte ihm nach langer Zeit endlich wieder Freude. Trotzdem fiel es ihm noch immer schwer, sich anderen Menschen zu öffnen.
Sein Zusammentreffen mit Isabella und Jan hatte ihn wieder darauf gebracht, dass es für ihn an der Zeit war, wieder ins Leben zurückzukehren.
Isabella! Sie sah seiner verstorbenen Tochter so verdammt ähnlich! Er fragte sich, ob er sie damals - während der Prüfungen - mit anderen Maßstäben beurteilt hatte. Er verwarf diesen Gedanken gleich wieder. Isabella war wirklich hervorragend gewesen. Sie hatte diese Ausbildung ebenso verdient gehabt wie ihr Freund Jan. Und nun wollten diese Zwei heiraten. Es war ihm durchaus bewusst, dass er diese beiden besonders ins Herz geschlossen hatte, aber es verursachte ihm kein schlechtes Gewissen.
Eine Hochzeit unter Akademieabsolventen, das hatte es bislang noch nicht gegeben. Aber warum eigentlich nicht? Irgendwie störte ihn der Gedanke, dass dieses wichtige Ereignis im Leben zweier Menschen so unspektakulär ablaufen sollte, wie sie es ihm beschrieben hatten.
Ein Geräusch an der Tür unterbrach seine Gedanken. Homer wandte sich zur Tür. »Herein!«
Greg trat ein und winkte mit einigen Unterlagen. »Hier, deine Kopien.« Er warf sie auf den Schreibtisch und trat zu Homer.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«
Homer blickte Greg kurz an. »Wie kommst du darauf?«
»Ich kenn dich doch. Wenn du so am Fenster stehst und die herrliche Aussicht auf den Parkplatz genießt, bist du immer am Grübeln. Was beschäftigt dich?«
»Wusstest du, dass Isabella und Jan heiraten werden?«
»Wer?« Greg machte ein ratloses Gesicht.
»Isabella Grimadiu und Jan Lückert. Du erinnerst dich sicher noch an die Aktion mit diesem rumänischen Agenten und dem Austausch der Eltern.«
Gregs Miene hellte sich auf. »Ach diese Isabella. Ja, daran erinnere ich mich natürlich. Das war ein echtes Husarenstück. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass du dich nur so weit aus dem Fenster gelehnt hattest, weil das Mädchen deiner Tochter so ähnlich sieht.«
»Und wenn schon!«, blaffte Homer ärgerlich. »Ich bin auch nur ein Mensch.«
»Das war doch kein Vorwurf. Du solltest dir nur über deine eigenen Beweggründe im Klaren sein.«
Homer klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Greg, ich bin mir darüber im Klaren - glaub mir. Und trotzdem würde ich es nicht anders machen wollen.«
»Und diese Zwei wollen heiraten? Ich hätte nie geglaubt, dass sie über die gesamte Ausbildung und auch danach zusammenbleiben würden. Das kommt in diesem Job eigentlich nie vor.«
»Und trotzdem tun sie es. Ich freue mich wirklich für sie. Es ist fast als ...«
Greg sah ihn erwartungsvoll an. »Als?«
»... wenn ich meine eigene Tochter zum Altar schreiten sehe. Versteh mich nicht falsch. Ich weiß ganz genau, dass sie nicht meine Tochter ist, aber da ist was in mir ... Ich weiß auch nicht.«
»Wird der harte CIA-Mann im Alter sentimental?«
»Ich bin schon lange kein CIA-Mann mehr. Und das weißt du auch.«
»Sicher weiß ich das. Aber von Zeit zu Zeit liebst du es dennoch, Spielchen zu spielen. Wo werden deine Schützlinge denn heiraten? Sie sind hier auf der Erde, oder?«
Homer war überrascht. »Hatte ich das erwähnt?«
»Nein, aber wenn du nach einer so langen Zeit von diesen beiden anfängst, hast du sie sicher getroffen. Lieg ich daneben?«
Homer schüttelte den Kopf. »Nein, du hast recht. Ich hab sie getroffen, als sie hier auf dem Gelände ankamen. Sie müssen in spätestens drei Wochen wieder auf den Mond reisen. Dort soll dann eine kleine Zeremonie stattfinden, bei der sie ihre Heiratsurkunde ausgehändigt bekommen.«
Greg sah seinen Freund skeptisch an. »Das scheint dir nicht zu gefallen.«
Homer setzte sich auf die Fensterbank. »Na ja. Es sind junge Leute. Ich bin sicher, dass sie im Grunde andere Vorstellungen von einer Hochzeit haben, als nur eine Unterschrift unter ein Dokument zu setzen. Aber auch sie sind eben nur Gefangene ihres Jobs.«
»Homer, es gibt Dinge, die können wir einfach nicht ändern. Auch du nicht.«
»Ich weiß, aber es muss mir nicht gefallen, oder?«
Greg blickte auf seine Uhr. »Nimm es mir nicht übel, aber ich hab noch einen Termin. Deine Kopien hab ich dir auf den Tisch geworfen. Mit Samstag geht es aber in Ordnung, oder?«
Homer lächelte. »Ja, das geht in Ordnung. Ruf mich an, wenn ich noch was mitbringen soll. Und grüß Lindsey von mir.«
»Mach ich«, lächelte Greg. »Ich muss dann.«
Er hob grüßend die Hand und verließ das Büro. Homer trat an seinen Schreibtisch und griff die Akademie-Dienstpläne, die Greg ihm gebracht hatte. Flüchtig blätterte er die Unterlagen durch. Das Meiste war uninteressant, doch als er den Bericht über das neue Frachtschiff GOLIATH 1 las, wurde er neugierig. Er setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl und sah genauer hin. Diese Schiffsklasse würde neue Maßstäbe setzen, wenn es in Serie ging. Es war deutlich größer als alles, was Menschen in der Vergangenheit im All zusammengebaut hatten. Ein Plasma-Antrieb brachte den Koloss auch dann auf Touren, wenn er voll beladen war. Obwohl es ein Frachter war, hatte man etwa in der Mitte einen Ring angebracht, der das gesamte, tonnenförmige Schiff wie ein Wulst umspannte. Dieser Ring konnte auf einer kugelgelagerten Gleitschiene so um das eigentliche Schiff kreisen, dass Mannschaften und eventuelle Passagiere einen Eindruck von Schwerkraft bekamen. Das ganze Schiff war einfach unvorstellbar groß.
Er sah die technischen Daten dieser Neuentwicklung und mehrfach musste er noch einmal zurückblättern, da ihm die Werte unglaubwürdig erschienen. Als er las, wer die GOLIATH 1 befehligen würde, stutzte er. Giovanni Salto. Er kannte diesen Namen. Salto war ein paar Jahre vor Isabella und Jan in der Prüfgruppe gewesen und auch er hatte beeindruckend abgeschnitten. Er konnte sich noch gut an die selbstbewusste und lässige Art erinnern, die er stets zur Schau getragen hatte. Giovanni Salto verfügte über einen bestechenden Charme, der nicht nur auf Frauen wirkte.
Nun hatte er sogar schon sein eigenes Kommando und befehligte das größte Schiff der irdischen Raumflotte. Die GOLIATH 1 hatte ihre Jungfernfahrt bereits mit Erfolg hinter sich gebracht und nun wartete man darauf, dass Transportaufträge kamen, um das Schiff seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen.
Plötzlich kam ihm eine Idee. Er drückte eine Taste auf seinem Kommunikationsterminal. Er wartete nicht, bis sich seine Sekretärin meldete. »Lynn, würden Sie mir bitte eine vertrauliche Leitung zum Direktor der Akademie auf dem Mond schalten?«
»Sofort Mr. Sherman.«
»Und dann brauche ich noch anschließend eine Audioleitung zur GOLIATH 1.«
»GOLIATH 1?«, fragte sie. »Ein Raumschiff? Können Sie mir sagen, wo sich dieses Schiff derzeit befindet?«
Homer lachte leise. »Wie könnte ich? Finden Sie es heraus. Es wäre sehr nett, wenn ich dieses Gespräch innerhalb der nächsten zwei Stunden führen könnte.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
»Danke.« Homer schaltete die Sprechverbindung ab und lehnte sich zurück. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Vielleicht hatte Greg ja doch recht und er konnte es nicht lassen, Spielchen zu spielen. Jetzt galt es, zu warten und wenn Lynn die angeforderten Leitungen geschaltet hatte, musste er seinen ersten Zug machen.