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12. Rettung?
12.5 Übereilte Abreise
Für den Abend hatte Roman ein richtiges Barbecue angekündigt. In Rumänien hatte es so etwas in dieser Form nicht gegeben, aber nach einigen Jahren in den Vereinigten Staaten lernte er einige Dinge durchaus schätzen. Die Kohle war noch nicht vollständig durchgeglüht, als es an der Haustüre schellte. Homer Sherman stand vor ihrer Tür und bat, mit Jan und Isabella sprechen zu können.
»Kommen Sie doch herein«, bat Roman.
Isabella sah ihren früheren Ausbilder fragend an. »Homer? Was verschafft uns die Ehre deines Besuches - zu so später Stunde?«
»Wir müssen uns über eure Rückreise zum Mond unterhalten.«
»Setz dich doch erst mal. Wir machen ein Barbecue. Du isst doch sicher auch ein Steak mit, oder etwa nicht?«
»Normalerweise gern, aber ich muss gestehen, dass ich etwas in Eile bin.«
»In Eile? Jetzt? Nein, jetzt wird erst ein leckeres Stück Fleisch gegessen. Über den Mond können wir auch noch morgen sprechen.«
Homer schüttelte ernst den Kopf. »Es tut mir leid, dass ich eure Planungen da etwas stören muss. Eigentlich solltet ihr zwei noch länger hier bei uns sein, doch es gibt leider Entwicklungen, die eine Änderung der Vorgaben erfordern.«
Jan und Isabella sahen Homer fragend an. Sie wussten nicht, worauf er hinaus wollte. Die Reparaturarbeiten an der GINA DACCELLI sollten doch noch länger andauern.
»Was meinst du?«, fragte Jan. »Uns sollte noch eine ganze Woche hier bei unseren Eltern bleiben. Welche Informationen hast du uns vorenthalten?«
»Ich habe euch nichts vorenthalten«, widersprach Homer. »Ich wollte eigentlich nicht mit der Tür ins Haus fallen. Uns liegt ein Funkspruch von der Werftstation Orbiter 3 vor. Die Arbeiten an den Endprojektoren konnten erheblich schneller abgeschlossen werden, da die Raumakademie um schnellste Ausführung gebeten hatte.«
»Ja, aber warum denn?«, wollte Isabella wissen. »Bei unserem Abflug vom Mond hatte man uns noch gesagt, wir könnten uns ein paar schöne Tage auf der Erde machen und jetzt auf einmal diese Eile?«
Es war ihr anzusehen, dass sie teils verständnislos und teils verärgert war.
»Es hat technische Ausfälle gegeben, die eure sofortige Rückkehr erfordern. Sie brauchen das Schiff«, erklärte Homer Sherman. »Ihr könnt mir glauben, dass mir das auch nicht gefällt. Ihr habt noch einen Tag hier in Florida, dann müsst Ihr wieder starten. Ich werde mich um euren Gleiter kümmern, damit er einsatzbereit ist.«
Isabella und Jan blickten von einem zum anderen und alle machten betretene Gesichter.
»Tja, das wird wohl immer unser Schicksal bleiben«, meinte Jan. »Für uns bleibt stets zu wenig Zeit.«
»Immerhin können wir zusammen fliegen«, räumte Isabella ein. »Diesen Luxus haben einige unserer Kollegen nicht.«
»Dann lasst uns wenigstens die wenigen Stunden gemeinsam genießen, bis unsere Kinder wieder weg müssen«, schlug Ileana vor.
Homer verabschiedete sich und schärfte Jan noch einmal ein, dass es wichtig sei, pünktlich wieder auf Orbiter 3 zu sein. Dann verließ er sie.
Die Stunden bis zur Abreise vergingen viel zu schnell und bald erschien ein Wagen vor dem Haus der Grimadius. Es war ein Wagen der NASA, den Homer ihnen geschickt hatte. Im Grunde war Jan sogar froh darüber, denn es kürzte die Verabschiedung von ihren Eltern ab, die sich diesmal sehr schwer taten, ihre Kinder wieder abreisen zu sehen. Roman und Ileana hatten Jans Eltern noch eingeladen, ein paar weitere Tage bei ihnen zu wohnen, um sich besser kennenzulernen.
Jan drückte Isabellas Hand, als sie im Fond des Wagens saßen und auf dem Weg zum Flugfeld waren. Ob es immer so weitergehen würde? Irgendwann musste auch einmal etwas Zeit für ihr Privatleben übrig sein. Was sie wohl auf dem Mond erwartete? Sie hatten keine Ahnung, was so Entscheidendes geschehen sein konnte, das ihre sofortige Rückkehr erforderlich machte.
Die Formalitäten vor dem Start waren schnell erledigt, da Homer ihnen das Meiste bereits abgenommen hatte. Vor dem Start trat er noch einmal zu ihnen und entschuldigte sich dafür, sie so schnell wieder fortzuschicken, aber es ginge nicht anders. Man würde sich bei ihrem nächsten Erdaufenthalt dafür revanchieren.
»Ach hör doch auf, Homer«, sagte Jan. »Es ist doch immer dasselbe. Es wird immer ›die Mission‹ geben, die unsere Pläne durchkreuzt. Sorge wenigstens dafür, dass meine Eltern nach Hause kommen. Das bist du mir schuldig.«
»Mach dir um Deine Eltern keine Gedanken, darum werde ich mich persönlich kümmern. Aber was ›die Mission‹ betrifft, solltest du dir mal Gedanken darüber machen, welchen Beruf du gewählt hast. Du hast dir dein Leben selbst ausgesucht und hart dafür gekämpft.«
»Du hast ja Recht, Homer, aber es macht die Sache hier und heute nicht leichter. Trotzdem werd ich dich darauf festnageln, dass Isabella und ich beim nächsten Mal einen längeren Urlaub bekommen.«
»Geht klar«, versprach Homer lachend. »Aber nun macht, dass Ihr startet. Das Startfenster schließt sich in vierzig Minuten.«
Sie schüttelten sich noch gegenseitig die Hände, dann wandten sich die Beiden von Homer ab und schritten zu ihrem Gleiter, der bereits aufgetankt auf sie wartete.
Homer blieb noch eine Weile stehen und sah ihnen zu, wie sie hineinkletterten und kurz danach die Triebwerke starteten. Er sah ihnen noch nach, bis der Gleiter in der Ferne immer kleiner wurde und dann das Raketentriebwerk zündete. Sie waren auf dem Weg. Homer wusste, dass sie im Grunde immer wieder zu kurz kamen und es hatte ihm leidgetan, ihnen ihre Pläne zu durchkreuzen.
Er wandte sich zum Gehen und ging auf sein Auto zu, welches er in dem wenigen Schatten geparkt hatte, den er hier finden konnte. Er begann zu lächeln. Bald würden die beiden begreifen, dass er für sein Handeln einen Grund gehabt hatte – einen guten Grund.
Jan und Isabella verbrachten den Anflug auf Orbiter 3 überwiegend schweigend. Sie waren zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Isabella war über alle Maßen enttäuscht, dass sie nur so wenig Zeit mit ihrer Familie verbringen konnte. Jan ging es genauso, aber bei ihr kamen noch die Geschwister hinzu, die sie ebenso vermisste, wie ihre Eltern. Mit Alexandra hätte sie sich gern ausführlicher unterhalten. Sie stand im Begriff, ebenfalls den Beruf des Raumfahrers zu ergreifen. Konnte sie ihr guten Gewissens dazu raten? Würde sie die gleiche Wahl noch einmal treffen, wenn sie erneut davor stehen würde? Sie begann zu schmunzeln.
»Ja«, dachte sie. »Ich würde dieselbe Entscheidung treffen.«
Sie sah zu Jan hinüber, der konzentriert dabei war, den Gleiter an die Raumstation heranzusteuern. Ihn hätte sie niemals kennengelernt, wenn sie nicht zur Akademie gegangen wäre.
»Isa, hör auf zu träumen«, sagte Jan und holte Isabella in die Wirklichkeit zurück. »Wir sollen den Gleiter in Hangar 3B abstellen. Ich hab noch nie einen Anflug auf einen Hangar gemacht. Ich brauche jetzt alle Daten, die ich bekommen kann. Wenn ich auch nur ein Bisschen zu schnell bin, produzieren wir Schrott.«
Sie sahen, dass die Station immer näherkam. Über die optische Fernbeobachtung konnten sie die Beschriftungen der Hangars bereits erkennen. Leider befand sich 3B nicht auf der ihnen zugewandten Seite, sodass Jan noch eine Schleife fliegen musste. Isabella schickte ihm laufend ihre Messdaten auf den Bildschirm. Es hatte sich eingebürgert, dass man solche Anflugmanöver durch den Autopiloten steuern ließ, doch Jan liebte es, ein Schiff manuell zu steuern. Dadurch bekam er ein besseres Gefühl für die Steuerung des Schiffes und musste dafür konzentriert aufpassen und genau überlegen, was er tat. Er brachte den Gleiter so vor den Hangar 3B, dass die Nase der Maschine genau auf das Hangartor zeigte.
Isabella rief über Funk die Station. »UNO-L-017K in Andockposition an Hangar 3B. Erbitten Öffnen der Hangarschleuse.«
»Verstanden UNO-L-017K. Schleuse wird geöffnet.«
Langsam fuhren die Schotthälften auseinander und gaben einen hell erleuchteten Innenraum frei. Vorsichtig gab Jan noch einmal einen Stoß aus den Triebwerken ab, worauf der Gleiter überraschend schnell in die Öffnung der Schleuse eintauchte. Unwillkürlich hielten Jan und Isabella den Atem an, doch ihr Misstrauen war unbegründet. Der Gleiter stieß mit den Tragflächen gegen eine Gummiführung, die den Flieger so sehr abbremste, dass sie hart in ihre Sicherheitsgurte gedrückt wurden. Als der Gleiter zur Ruhe gekommen war, hatte sich das Schleusentor geschlossen und ein lautes Zischen kündete davon, dass der Innendruck bereits wieder hergestellt wurde.
»Willkommen auf Orbiter 3«, drang eine Stimme aus dem Funkgerät. »Ich habe Anweisung, Ihnen mitzuteilen, dass Sie sofort ins Zentralbüro kommen sollen. Man ist auf dem Mond dringend daran interessiert, Sie bald wiederzusehen.«
Jan und Isabella stiegen aus ihrem Gleiter, sowie eine Anzeige ihnen zeigte, dass sie unbeschadet ins Freie gehen könnten. Die Luft war durch die rasche Expansion noch kalt und sie fröstelten, als sie auf dem Hangarboden standen. Die Rotation des Orbiter 3 simulierte eine leichte Schwerkraft und ermöglichte ihnen, relativ normal zu laufen. In den Gängen herrschte die unangenehme Hektik, die ihnen bereits bei ihrem ersten Aufenthalt auf der Station aufgefallen war. Die Orientierung fiel ihnen inzwischen etwas leichter, so fanden sie das sogenannte Zentralbüro sehr schnell.
Ein Mann übergab ihnen Papiere, deren Erhalt sie quittieren mussten, dann waren sie entlassen.
»Das war alles?«, fragte Jan. »Keine Erklärungen, Hinweise, Einweisungen?«
»Sie können gern noch mit dem Leiter des Instandsetzungsteams sprechen«, bot der Mann an.
»Ich bitte darum! Wir benötigen Informationen darüber, was man an dem Schiff ausgetauscht hat, und auf was wir achten müssen.«
Der Mann zuckte mit den Schultern und ließ den Leiter des Teams ausrufen. Als er erschien, stellte Jan seine Fragen.
Der Teamleiter sah ihn überrascht an. »Man hat ihnen keine Informationen über die Reparatur gegeben? Wir haben alle Endprojektoren gewechselt, obwohl die alten Projektoren noch recht gut aussahen. Wir haben mehrere Teams eingesetzt, da die Mondakademie uns Anweisung gab, die Arbeiten so schnell wie möglich abzuschließen.«
»Hat man Ihnen einen Grund für diese Eile angegeben?«, wollte Isabella wissen.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, hat man nicht. Aber man hat ohne Zögern unseren sicher nicht geringen Aufpreis akzeptiert.«
»Na, dann werden wir mal so schnell wie möglich zum Mond fliegen und feststellen, was dort so wichtig ist.«
Der Leiter machte eine abwehrende Handbewegung. »Da muss ich Sie enttäuschen. Die neuen Projektoren müssen noch gehärtet werden. Sie sollten moderat mit Korpuskularpartikeln bestrahlt werden. Wenn Sie das Schiff mit voller Leistung fliegen, also mit dem Plasmatriebwerk, fliegen Ihnen die Projektoren auseinander. Sogar die volle Leistung des Korpuskulartriebwerks sollte vor Erreichen des Mondes unterbleiben. Ich würde maximal halbe Kraft empfehlen.«
»Dann brauchen wir ja ewig bis zum Ziel«, meinte Jan.
»Ich kann nichts daran ändern. Das Material härtet durch leichte Belastung mit dem Normaltriebwerk aus. Wenn Sie den Mond erreicht haben, sollte es wieder möglich sein, das Schiff voll zu belasten – aber nicht eher. Eine Erneuerung der Endprojektoren ist vergleichbar mit dem Einbau eines neuen Antriebssystems. So etwas muss erst eingeflogen werden, bevor es bis an die nominalen Grenzen belastet werden darf.«
Später, als sie im Kommandostand der GINA DACCELLI saßen, überlegten sie, wie lange der Flug nun dauern würde und kamen zu dem Schluss, dass sie länger brauchen würden als jeder Frachter.
Missmutig ließ Jan die Triebwerke warmlaufen.