12. Rettung?

12.6 Homers Coup


In Merrit Island hielt ein Wagen der UNO vor dem Haus der Grimadius. Homer Sherman stieg aus und läutete an der Tür. Ileana Grimadiu öffnete und ihr Gesicht verfinsterte sich, als sie erkannte, wer da vor ihr stand.
»Dass Sie sich noch hierher wagen, nachdem Sie unsere Kinder so schnell weggeschickt haben«, sagte sie.
»Sie werden es verstehen, nachdem ich Ihnen erklärt habe, worum es geht«, sagte Homer. »Darf ich hereinkommen?«
Ileana trat beiseite und lud ihn mit einer Handbewegung ein, einzutreten.
Im gemütlichen Wohnzimmer waren alle versammelt: Isabellas Eltern, ihre Geschwister, sowie Maria und Paul Lückert, die noch bei den Grimadius zu Gast waren. Homer spürte die Spannung, als er den Raum betrat.
»Ich weiß, dass man mir im Moment nicht sehr viel Sympathie entgegenbringt«, begann er. »doch hoffe ich, dass sich das bald ändern wird. Jan hat mich gebeten, mich darum zu kümmern, dass Herr und Frau Lückert gut nach Hause kommen. Ich sehe es sogar als meine Pflicht an, mich darum zu kümmern, jedoch nicht jetzt und heute.«
»Und warum sind Sie hier?«, fragte Maria. »Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen.«
»Als Sie hierher kamen, nahm Jan sie in seinem Gleiter mit«, sagte Homer. »Wie ist Ihnen dieser Flug bekommen?«
»Es war anstrengend, aber durchaus auszuhalten«, erklärte Paul Lückert. »Warum fragen Sie?«
»Oh, ich will nur abschätzen, ob Sie einen zweiten solchen Flug überstehen würden, denn wir würden auch diesen nächsten Flug mit einem Gleiter durchführen müssen.«
»Wenn Sie keine anderen Flieger zur Verfügung haben, werden wir auch einen Gleiterflug nach Deutschland überstehen«, bestätigte Maria.
»Ich möchte nicht, dass Sie mich missverstehen«, sagte Homer. »Ich werde Sie nicht mit dem Gleiter nach Hause bringen, sondern ins All. Das betrifft im Übrigen alle hier im Raum.« Er machte eine alle einschließende Bewegung mit der Hand.
»Wie darf ich das verstehen, Mr. Sherman?«, fragte Ileana.
Homer grinste breit.
»Meinen Sie allen Ernstes, wir würden es einfach übergehen, wenn zum ersten Mal in der Geschichte der Mondakademie ein Paar bereit ist, zu heiraten? Es war Jan und Isabella klar, dass sie ihre Hochzeit vor dem Gesetz draußen auf dem Mond feiern müssen. Was sie jedoch nicht wissen, ist die Tatsache, dass die Vorbereitungen für ihre Hochzeit schon auf Hochtouren laufen. Ein ehemaliger Zimmergenosse von Jan, Giovanni Salto, ist inzwischen Pilot auf der GOLIATH 1, dem derzeit größten Frachter der UNO. Dieser Gigant ist derzeit in einer Umlaufbahn um die Erde. Er erwartet uns und will mit uns in Richtung Mond starten. Die GINA DACCELLI, mit der Jan und Isabella unterwegs sind, darf nur mit halber Kraft fliegen. Dadurch haben wir Zeit, unsere Bestimmungsposition zu erreichen, bevor die GINA DACCELLI den Mond erreichen wird.«
»Ich weiß nicht, ob ich mit der Schwerelosigkeit zurechtkomme«, wandte Ileana ein.
»Das müssen Sie nicht, oder nur ganz kurz«, erklärte Homer. »Die GOLIATH 1 verfügt über einen sehr großzügigen Rotationszylinder für Passagiere. Sie werden leichter sein als auf der Erde, aber sie werden nicht schwerelos sein. Ich schlage vor, dass Sie alle ein paar Dinge zusammenpacken und mit mir zum Raumhafen fahren.«
Für die Eheleute Lückert und Familie Grimadiu überschlugen sich nun die Ereignisse. Mit sehr gemischten Gefühlen packten die beiden Elternpaare ihre Reisetaschen, während die Kinder ganz aus dem Häuschen waren. Der Gedanke, gleich ins All zu reisen, machte sie ganz aufgeregt. Besonders Alexandra freute sich riesig, hatte sie sich doch um einen Platz an der Raumakademie beworben und wartete nun auf ihren Prüfungstermin.
Geduldig wartete Homer darauf, dass seine Reisegäste fertig wurden, dann ließ er sie in den vor der Tür wartenden Wagen steigen und fuhr mit ihnen zum Raumhafen, wo bereits ein startbereiter Gleiter auf sie wartete. Nur wenig später rollte dieser mit, bis auf den letzten Platz besetzten, Kontursesseln zur Startbahn. Der Start verlief noch absolut unspektakulär, wie bei jedem anderen Flugzeug, doch dann machte der Flieger einen Satz, als der Raketenantrieb dazu geschaltet wurde. Kurz bevor die Belastung für die untrainierten Fluggäste unerträglich wurde, schaltete der Pilot den Antrieb ab und eine zentnerschwere Last wurde den Passagieren von der Brust genommen. Jetzt fanden sie Gelegenheit, aus den Fenstern zu sehen. Der Himmel erschien in einem tiefen Schwarz, in dem die blaue Kugel der Erde leuchtete. Fasziniert starrten sie aus dem Fenster und bemerkten gar nicht, dass sie sich einem riesigen Raumschiff näherten. Dieses ähnelte einer stumpfen Tonne mit einem breiten Ring in der Mitte.
Alexandra entdeckte das Schiff als Erste. »Was ist denn das dort vorn?«
»Das ist die GOLIATH 1«, erklärte Homer. »Unser größter Frachter. Der Ring in der Mitte ist der Personenbereich. Er rotiert langsam um seine Achse und erzeugt durch Fliehkraft eine Art Schwerkraft. Es wird für Sie eine mehr als komfortable Reise werden.«
Bald war der Gleiter in einer breiten Schleuse der GOLIATH 1 verschwunden. Dem Grunde nach befanden sie sich nun in einem Frachter, doch kam es ihnen nicht so vor. Der Passagierbereich war so großzügig ausgestattet, dass man den Eindruck bekam, man befände sich auf einem Kreuzfahrtschiff.
Giovanni Salto empfing seine Fluggäste bereits auf dem Gang hinter der Schleuse. »Willkommen auf der GOLIATH 1! Es ist mir eine Freude, die Familien von Jan und Isabella an Bord begrüßen zu dürfen. Machen Sie es sich bequem. Wir haben geräumige Kabinen entlang der Personenzone, die ständig der Fliehkraft des Rotationskörpers ausgesetzt sind. Sie werden sich wohlfühlen.«
»Wie lange wird der Flug zum Mond dauern?«, wollte Roman wissen.
Giovanni Salto machte ein fragendes Gesicht. »Hat Ihnen Homer Sherman nicht gesagt, dass wir nicht den Mond anfliegen werden?«
»Ich wollte nicht zu viel auf einmal verraten«, sagte Homer. »Wir werden einen Punkt im All ansteuern, der ein gutes Stück vom Mond entfernt ist. Dort werden wir eine Havarie vortäuschen.«
»Wir werden was?«, fragte Alexandra entgeistert. »Was soll denn das?«
»Eine Überraschung, Alexandra.« Homer lächelte süffisant. »Genießen Sie den Flug.«
Einige Zeit später verließ Giovanni sie, und bald darauf bewegte sich die GOLIATH 1 und scherte aus dem Orbit um die Erde aus. Der Kurs zeigte auf einen Punkt weit neben dem Mond.
»Wir haben nun ein paar Tage Zeit, in der ich sie alle bitten möchte, mir zu helfen, ein paar Vorbereitungen zu treffen. Wir werden alles, was wir brauchen, in den Lagern des Frachters finden, aber es gibt noch eine Menge zu tun. Sie werden dann auch begreifen, was wir vorhaben.«