13. Der Flug der JEAN SIBELIUS

13.4 Im Fokus der Piraten

»Bingo!«, rief Sabina Doyle aus. Soeben hatte sie einen Schatten auf ihrem Fernradar entdeckt. Ein weniger kompetenter Ortungsspezialist hätte aus diesem kleinen Schatten nichts herauslesen können, doch Sabina verstand etwas von ihrem Fach. Sofort hatte sie die Daten in ihren Computer überspielt, der aus den ersten ungenauen Ortungsergebnissen bereits einen Bewegungsvektor ermitteln konnte, der unzweifelhaft auf ein Raumschiff hindeutete. Ihr war sofort klar, dass es sich bei diesem Schiff nur um die JEAN SIBELIUS handeln konnte. Gut gelaunt begann sie die ersten Takte der Star-Wars-Melodie zu pfeifen, während sie auf den Alarmknopf drückte. Der Alarm gellte durch die gesamte BLACK BOTTOM und ließ allen das Adrenalin in die Adern schießen.
Wenige Augenblicke später stürzte Kyle Brown herein und brüllte: »Wer hat den verdammten Alarm ausgelöst?«
»Ich«, sagte Sabina knapp.
»... Und? Darf man erfahren, warum du uns alle in Aufruhr versetzt?«
Sabina deutete grinsend auf ihren Monitor. »Deshalb. Und sag jetzt nicht, der Alarm war nicht gerechtfertigt.«
Kyle starrte auf die Darstellung auf dem Monitor und Sabina konnte ihm ansehen, dass er mit den Daten rein gar nichts anfangen konnte. Sie ließ ihn noch einen Moment schmoren, da sie seine Ratlosigkeit noch einen Augenblick auskosten wollte. Seit einiger Zeit verbrachten sie zwar häufig ihre Nächte miteinander, doch kotzte sie seine offen zur Schau getragene, großspurige Art an. Sie liebte ihn nicht, aber er war halt für ihren Geschmack im Augenblick das Beste, was sie bekommen konnte – nicht mehr und nicht weniger.
»Nun sag schon, was dieses ganze Zeug hier auf dem Bildschirm bedeutet!«, forderte Kyle ärgerlich.
»Der Bildschirm zeigt die Objekte an, die unsere Fernortung derzeit lokalisieren kann«, erklärte Sabina. Sie deutete auf einen kryptisch bezeichneten Eintrag. »Dieses Objekt bewegt sich. Ich hab es mehrfach überprüft. Das Objekt verfolgt einen Kurs, der es über kurz oder lang ins innere Sonnensystem führen wird. Das allein ist noch nichts Besonderes, aber ich hab noch eine Emissionsmessung durchgeführt, und was soll ich sagen? Dieses Objekt zeigt Emissionen in einem Teil des Spektrums, die nur auf Plasmaemission zurückgeführt werden können. Kyle, das ist die JEAN SIBELIUS.«
Sie sah Kyle mit einem spöttischen Lächeln an. »Durfte ich dafür den Alarm auslösen?«
»Bist du sicher?«, fragte Kyle. »Wir dürfen uns keinen Fehler erlauben. Wir können nicht sicher sein, dass dieser Frachter nicht über Triebwerke verfügt, die den unseren ebenbürtig sind. Wir werden deshalb eine asymptotische Kursannäherung vornehmen müssen. Das bedeutet, dass sie uns schon lange sehen, bevor wir unsere Enterboote zum Einsatz bringen können.«
»Kyle, wenn ich dir sage, dass das unser Ziel ist, kannst du mir glauben, dass es auch unser Ziel ist. Du hast mich an Bord geholt, weil ich mein Handwerk verstehe. Wie du nun mit den Ergebnissen umgehst, ist deine Sache.«
Kyle Brown hasste es, wie Sabina mit ihm sprach und er fragte sich, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, mit ihr intim zu werden. Aber er brauchte sie noch, und was noch schlimmer war: Sie wusste das genau. Kyle drehte sich herum und verließ wortlos die Ortungszentrale. Sabina schien zu spüren, dass es besser war, jetzt nicht noch verbal nachzusetzen. Also veranlasste sie lediglich eine Synchronisierung ihrer Ortungsdaten mit dem Navigationscomputer, da sie wusste, dass diese Daten für die weitere Vorgehensweise wichtig waren. Sie fragte sich, wie viel Zeit ihr noch blieb, bevor Kyle die BLACK BOTTOM in den Einsatz schickte.
Sie hatte den Gedanken kaum beendet, als Hagen Thermorn in die Ortungszentrale kam. Hagen leitete die Außentruppe bei Entermanövern. Er war ein wahrer Riese und sein gesamter Körper strotzte vor Kraft. Niemand verspürte den Wunsch, mit diesem Mann aneinanderzugeraten. Umso verblüffender war es, dass Hagen im Grunde ein sanfter, verständnisvoller Mann war. Schon oft hatte er sich offen gegen die Befehle Kyles gestellt, wenn es darum ging, Befehle auszuführen, die nach Hagens Ansicht die Verhältnismäßigkeit der Mittel überstieg. Jeden Anderen hätte Kyle bereits durch die Schleuse ins All geschickt, doch bei Hagen war das anders. Er brauchte diesen fähigen und umsichtigen Mann, der von seinen Leuten vergöttert wurde.
»Was führt dich zu mir?«, fragte Sabina.
»Ich hab läuten hören, dass es losgehen soll«, brummte er mit seiner tiefen Stimme. »und daher wollte ich mir deine Daten ansehen. Du weißt ja, ich lehne jede Mission ab, wenn ich das Ziel nicht genau kenne.«
Sabina nickte und deutete auf ihren Monitor. »Du kennst dich ja aus. Schau dir an, was du möchtest. Dann hätte ich gern eine realistische Einschätzung von dir, Hagen. Das Ziel hat einen Plasmaantrieb. Wir haben meines Wissens bisher noch nie ein so modernes Schiff angegriffen.«
Hagen zog eine Augenbraue hoch. »Hm. Plasmaantrieb? Davon hat Kyle bei der letzten Besprechung nichts gesagt. Das würde bedeuten, dass wir uns nicht so überraschend an das Ziel heranmachen können wie sonst. Nicht, dass mich das abschrecken würde, aber es steht dann zu befürchten, dass es zu Widerstand kommen könnte.«
»Meinst du, dass es für uns gefährlich werden könnte?«
»Nein, Mädchen, so weit wird es sicher nicht kommen. Frachter sind bisher noch immer unbewaffnet und Weltraumpiraterie ist bisher noch eine Sache, die von den Behörden nicht ernst genommen wird. Doch wenn wir diesmal Erfolg haben – und davon gehe ich aus -, dann wird man uns jagen. Davon bin ich überzeugt. Eine ganze Ladung Speicherkristalle wird man uns nicht durchgehen lassen. Ich will hoffen, dass Kyle bei diesem rätselhaften ›Koordinator‹ genügend Rückhalt hat, um uns zu schützen. Wenn nicht ... dann wird es Zeit, über einen Wechsel des Jobs nachzudenken.«
Die BLACK BOTTOM begann sich zu schütteln, wie sie es immer tat, wenn die Triebwerke gezündet wurden. Sie sahen sich an.
»Es geht los«, sagte Hagen. »ich muss zu meinen Leuten, Sabina. Wir sehen uns später.«
Sabina hielt Hagen kurz am Ärmel fest und flüsterte ihm ins Ohr: »Hagen, wenn es nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen und ihr die BLACK BOTTOM verlassen wollt – dann möchte ich euch begleiten.«
Hagen sah sie verblüfft an. »Wie kommst du auf die Idee, wir könnten das Schiff im Stich lassen?«
Sabina zuckte mit den Schultern. »Es ist nur so ein Gedanke. Sollte es so kommen, will ich mit.«
»Hast du mit Kyle darüber gesprochen? Wie steht er dazu? Ich stehe nicht gern zwischen den Stühlen.«
Sabina sah ihn nur schweigend an.
Hagen nickte. »Er weiß es überhaupt nicht. Läuft es nicht gut zwischen euch?«
»Es lief nie gut zwischen uns. Im Grunde mag ich ihn nicht einmal. Irgendwie waren wir füreinander immer nur Mittel zum Zweck.«
Er lächelte schief. »Sabina, du klingst ganz schön berechnend, weißt du das? Eine Romantikerin warst du wohl nie.«
»Ein Pirat und Kerl wie ein Baum redet von Romantik? Das klingt auch nicht auch nicht sonderlich glaubwürdig, oder?«
Hagens Lächeln wurde breiter. »Touché, mein Engel. Aber mal im Ernst: Was willst du nun von mir? Du siehst bei Kyle deine Felle wegschwimmen und suchst dir einen anderen, hinter dem du in Deckung gehen kannst?«
»So ist es nicht! Kyle hab ich nie gemocht, aber dich hab ich immer gemocht. Ich bitte dich, mich nicht zurückzulassen, wenn es ernst wird.«
Hagen zog die Augenbrauen hoch. »Sabina übertreib es nicht. Du bist eine schöne Frau, und du weißt das. Schöne Frauen sind gefährlich für einen Mann in meiner Situation. Ist dir überhaupt klar, was du mir zumutest? Du erzählst mir, du hättest mich immer gemocht. Und mit wem hüpfst du in die Federn? Denk mal darüber nach.«
»Hast du noch nie Fehler gemacht, Hagen? Bitte! Lass mich nicht zurück, wenn du mit deinen Leuten verschwinden musst.«
Hagen nickte. »Gut. Ich werde an dich denken«, sagte er und wandte sich zur Tür.
Sabina wandte sich wieder ihren Instrumenten zu. Das Schiff hatte inzwischen deutlich Fahrt aufgenommen. Im Geiste ging sie noch einmal das Gespräch der letzten Minuten durch. Sie war sicher, dass Hagen Wort halten würde. Es war nicht so, dass sie nicht an einem hohen Profit interessiert war, doch war sie nicht bereit, für ein Arschloch wie Kyle ihr Leben zu riskieren. Man würde sehen, wie sich die Sache weiter entwickelte.