13. Der Flug der JEAN SIBELIUS

13.5 Die Entdeckung

Isabella hatte inzwischen Zeit gehabt, sich an den Gedanken ihrer Schwangerschaft zu gewöhnen. Noch immer schwankte sie zwischen freudiger Erwartung und dem Gedanken daran, was aus ihrem Job werden würde. Sie hatte so hart darum gekämpft, die Ausbildung an der Akademie machen zu können und nun hatte sie es geschafft – sie war am Ziel ihrer Träume, und nun das. Sie spielte schon mit dem Gedanken, es Jan über eine Fernfunkstrecke mitzuteilen, entschied sich jedoch dagegen. Sie wollte es ihm lieber persönlich sagen und sie waren ja auch schon auf dem Weg ins innere Sonnensystem. Bald würde sie ihren Mann endlich wiedersehen.
»Isabella könntest du dir das hier bitte einmal anschauen?«, fragte Pat Rooney, ihr Funker.
»Was gibt’s denn?«, wollte Isabella wissen. »Haben wir eine Nachricht hereinbekommen?«
»Nein, eine Nachricht ist es nicht«, meinte Pat. »Es ist eher eine Ortung.«
Da die Besatzung der JEAN SIBELIUS nur aus fünf Personen bestand, mussten einige Positionen doppelt besetzt werden. So war Pat Rooney nicht nur für den Funk, sondern auch zusätzlich für die Ortung zuständig.
»Eine Ortung? Hier draußen?«
»Das ist ja das Eigenartige. Hier dürfte außer uns weit und breit kein Schiff zu finden sein. Trotzdem hab ich seit Kurzem Ortungsimpulse, und was noch eigenartiger ist: Sie nähern sich uns auf einem asymptotischen Kurs.«
»Wie bitte?«, fuhr Isabella hoch und eilte zu Pats Konsole. »Das würde ja bedeuten, dass es sich um ein Schiff handelt, das uns absichtlich treffen will. Was soll das?«
»Hast du es schon angefunkt?«, fragte Renata. »Vielleicht benötigen sie Hilfe.«
»Ich hab da einen ganz anderen Verdacht«, sagte Isabella. »Schaut euch doch diesen Kurs an. Das ist niemand, der Hilfe braucht, sondern jemand, der auf uns gewartet hat und nun ein astreines Abfangmanöver fliegt. Unsere Ladeschleusen sind voll mit Speicherkristallen. Das ist es, was diese Leute wollen, da bin ich sicher. Das sind Piraten.«
»Das ist doch verrückt!«, entfuhr es dem Techniker Danladi Swaso. »Isabella, du hast zu viele Filme gesehen. Weltraumpiraterie! Das gibt es doch gar nicht.«
»Ich bin mir sicher!«, beharrte Isabella. »Wir sind noch so weit draußen – noch außerhalb der Marsbahn. Wer sollte hier draußen sonst noch herumkreuzen? Höchstens Prospektionsschiffe wie wir und davon wüssten wir. Ich bleibe dabei: Die haben es auf uns und unsere Ladung abgesehen.«
Danladi überlegte und schluckte. »Was, wenn du recht hast? Wir haben keinerlei Möglichkeiten, uns gegen einen Angriff zu wehren, und um Hilfe rufen, bringt uns hier auch nicht weiter. Allein bis uns jemand hört, ist dieses Schiff bereits bei uns.«
»Ich hab keine Ahnung, was wir überhaupt tun können«, gab Isabella zu. »Aber ich bin nicht bereit, ihnen die JEAN SIBELIUS einfach so zu überlassen. Pat, wie viel Zeit haben wir noch, bevor sie uns erreichen können?«
»Wenn die Anderen in diesem Tempo weiterfliegen, werden sie uns in weniger als einer Stunde eingeholt haben. Den Emissionsanalysen zufolge fliegen sie mit einem Plasmaantrieb.«
»Also sie haben einen Plasmaantrieb«, überlegte Isabella laut. »Dann brauchen wir uns gar nicht erst mit dem Gedanken auseinandersetzen, ob eine Flucht möglich ist. Unsere Masse ist viel höher als die Masse unserer Verfolger.«
Sie rutschte in ihren Pilotensitz und aktivierte ihre Kontrollen.
»Pat, sende einen gerichteten, codierten Notruf zur Erde und schildere ihnen unsere Position und was uns bevorsteht. Wiederhole ihn immer wieder«, befahl Isabella. »Irgendwann wird jemand den Ruf empfangen.«
Gleichzeitig schaltete sie den Plasmaantrieb ab.
»Was tust du?«, fragte Renata fassungslos. »Dann sind sie doch noch schneller bei uns!«
Isabella grinste boshaft. »Da hast du verdammt recht, Renata. Und es bringt ihren ganzen Anflug durcheinander. Jetzt müssen sie verzögern und ihren ganzen Kurs neu anpassen. Bei diesem geringen Abstand wird sie das beschäftigen, bis sie hier sind.«
»Und was bringt uns das?«
»Nun, uns ist es scheißegal, ob diese Leute Probleme haben. Wir bereiten ihnen einen heißen Empfang«, sagte Isabella und aktivierte die Steuerdüsen des Schiffes.
Die JEAN SIBELIUS drehte sich langsam in eine andere Richtung.
»Könntest du uns erklären, was du da genau tust?«, bat Pat. »Es bringt doch nichts, in dieser Richtung zu fliehen.«
»Wer hat etwas von Fliehen gesagt?«
»Oh mein Gott!«, rief Renata aus. »Ich weiß, was sie vorhat! Sie richtet unser Plasmatriebwerk so aus, dass die Fremden in den Abgasstrahl geraten können, wenn wir zünden.«
»Du hast es erfasst«, sagte Isabella. »Da wir davon ausgehen müssen, dass sie keine Zeugen brauchen können, werde ich auch keine Hemmungen haben, ihnen noch einen letzten Gruß von uns zu schicken.«
»Du gehst allen Ernstes davon aus, dass sie uns umbringen werden?«, fragte Danladi mit einem Zittern in der Stimme. »Wir wissen doch noch nicht einmal, ob es wirklich Piraten sind.«
»Ich hab jetzt mehrfach unsere Kennung an die Fremden gefunkt, aber bisher keine Antwort bekommen«, sagte Pat. »Ich glaube, dass Isabella mit ihrer Vermutung recht hat. Wenn es ein Schiff wäre, das unsere Hilfe benötigt, würden sie sich melden. Wenn ich mir aber in der Ortung anschaue, wie sie auf unsere Manöver reagieren, dann dürfte klar sein, dass man drüben keine technischen Probleme hat.«
»Damit ist es entschieden!«, rief Isabella aus. »Wir werden kämpfen!«
Sie hatten noch etwas Zeit, bis etwas Entscheidendes geschehen würde, also setzten sie sich alle vor ihre Instrumente und beobachteten, wie sich ihnen das fremde Schiff unaufhaltsam näherte. Isabella empfand eine eigenartige Ruhe, die sie selbst überraschte. Sie mussten befürchten, alle ihr Leben zu verlieren. Eigentlich hätte sie Angst verspüren müssen, doch es war Wut, die sie fühlte. Unwillkürlich strich ihre linke Hand über ihren Bauch. Sie dachte an das Kind, das in ihr wuchs. Auch wenn sie sich bisher nicht sicher war, ob sie sich darüber freuen sollte. Doch jetzt – in dieser Situation – war sie überzeugt, dass sie wirklich alles tun würde, um ihm eine Zukunft zu ermöglichen.