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13. Der Flug der JEAN SIBELIUS
13.6 Ein Frachter wehrt sich
Die FREELANCER hatte die Marsbahn soeben hinter sich gelassen, als der Funker Haruki Ono bekannt gab, dass er einen leicht verstümmelten, codierten Funkspruch empfangen habe.
»Verstümmelt?«, fragte Jan. »Vielleicht war es Richtfunk und nicht für uns bestimmt. Konntest du feststellen, von wo die Sendung stammt?«
Haruki schüttelte den Kopf. »Immer dasselbe. Wenn man dir den kleinen Finger reicht, greifst du gleich nach der ganzen Hand. Nein ich kann dir nicht genau sagen, wo der Sender ist. Ich habe nur ein paar Fetzen eines Funkspruchs aufgefangen. Ich werde auf Wiederholungen achten. Ich vermute aber, dass der Sender irgendwo vor uns in Richtung auf den Asteroidenring ist. Vielleicht sollten wir unseren Kurs leicht in diese Richtung ändern. Für uns spielt es sowieso keine Rolle, wo wir unsere Spielzeuge ausprobieren, oder?«
»Da hast du recht«, meinte Jan. »Mandy, ich werde den Kurs manuell ändern, bitte zeichne die Änderung auf und speichere sie im Navigationscomputer.«
»Aye aye«, gab sie zackig zurück. Mandy Gomez liebte es, Jan mit ihrer militärisch korrekten Art zu ärgern. Mandy war zwar ebenso wie auch Jan bei der UNO beschäftigt, doch unterstand sie dem neu gebildeten Korps der Raumstreitkräfte. Jan grinste. Er wusste, dass sie ihn nur ärgern wollte. Im Grunde konnte sie sich beide gut leiden.
Die FREELANCER war noch nicht lange auf ihrem neuen Kurs, als Haruki rief, er habe wieder etwas aufgefangen.
»Ist es wieder verstümmelt?«, wollte er wissen.
»Nein, aber es ist codiert. Dafür habe ich jetzt aber eine Richtung. Der Sender befindet sich fast genau auf unserem Kurs vor uns. Leider kann ich nichts über die Entfernung sagen.«
»Ich wüsste zu gern, wer sich dort vorn herumtreibt«, sagte Jan. »Meine Frau ist mit der JEAN SIBELIUS zum Asteroidengürtel geflogen. Vielleicht stammt die Sendung von ihr.«
»Ich kann es ja durch den Computer laufen lassen«, schlug Haruki vor. »Wenn es ein Code der UNO oder der ESA ist, können wir die Nachricht vielleicht entschlüsseln.«
»Gut mach das und gib mit sofort Bescheid, wenn du etwas herausgefunden hast.«Kyle Brown stand in der Zentrale der BLACK BOTTOM und schäumte vor Wut.
»Was machen die denn dort vorn?«, brüllte er, als er sah, dass die JEAN SIBELIUS ihre Triebwerke abgestellt hatte. »London, mach was!«, befahl er. »Die machen uns den ganzen Anflugplan kaputt!«
London Brown verstand die ganze Aufregung nicht. Ihm war von vornherein klar gewesen, dass es kein Spaziergang werden würde.
»Lech, Status bitte«, rief er zu seinem Navigator. »Haben wir noch eine Chance, so an das Ziel heran zu manövrieren, wie wir es beabsichtigt hatten?«
»Haben wir, aber du musst sofort korrigieren. Ich schick dir die Daten sofort.«
London beurteilte ihre Chancen, reduzierte sofort das Haupttriebwerk und schlug auf den Schalter für die Steuerdüsen. Die BLACK BOTTOM schüttelte sich und Kyle verlor das Gleichgewicht.
»Willst du mich umbringen?«, herrschte Kyle seinen Bruder an.
»Verdammt halt endlich dein Maul und schnall dich auf einem der Sessel an«, schimpfte London zurück. »Du weißt genau, dass es unruhig werden kann, wenn man hektisch navigieren muss! Du bist im Moment wirklich keine große Hilfe.«
Kyle konnte sich nur mühsam beherrschen. Schließlich war er der Kommandant. Er hatte es nicht nötig, sich wie ein kleiner Junge behandeln zu lassen. Er schlug mit der Hand auf die Ruftaste der Bordkommunikation.
»Thermorn, sofort auf die Brücke!«, rief er ins Mikrofon.
»Kyle, verdammt noch mal, was ist eigentlich mit dir los?«, fragte London. »Das ist nicht der erste Frachter, den wir überfallen. Wir haben Waffen, wir haben Außentruppen, wir haben bewaffnete Beiboote.« Er deutete auf seinen Monitor.
»Die da drüben sind höchstens fünf bis zehn Leute und sind unbewaffnet. In wenigen Minuten werden wir unsere Beiboote ausschleusen und dieses Schiff in die Zange nehmen. Wovor hast du eigentlich solche Angst? Ist es wegen dieses verdammten Koordinators? Welchen Deal hast du eigentlich mit diesem Kerl?«
Kyle kaute eine Weile auf seiner Unterlippe.
»Wenn diese Aktion hier fehlschlägt, brauchen wir nicht mehr zur Erde zurückkehren«, sagte Kyle heiser. »Dann sind wir so gut wie tot. Der Koordinator ist dafür bekannt, dass er einen langen Arm hat und es ist definitiv, dass wir alle reich werden, wenn es gelingt, aber er löscht uns als Versager aus, wenn es nicht klappt.«
Thomas Bertold am Waffenstand und auch Hagen Thermorn, der soeben die Zentrale betrat, hatten die Ausführungen ihres Kommandanten mitbekommen und glaubten, ihren Ohren nicht zu trauen. London Brown klappte seinen Mund mehrere Male auf und wieder zu, ohne dass er einen Laut hervorbringen konnte.
»Bist du eigentlich vollkommen übergeschnappt?«, fragte er schließlich. »Wie kannst du uns alle an so einen Psychopathen ausliefern?«
»Ach, jetzt macht euch nicht ins Hemd! Wir werden diesen Frachter kapern und fertig.«
»Nicht ins Hemd machen«, echote London. »Du bist doch derjenige, der hier Stress macht!«
Er machte eine Verbindung zu Sabina Doyle. »Sabina, ich will ab sofort sämtliche Messungen online auf meinem Display haben, verstanden?«
»Schon geschehen«, drang es aus dem Lautsprecher und im nächsten Moment zeigten diverse Monitore in der Zentrale ein exaktes Bild des Zielschiffes.
»Wann haben wir Kontakt?«, fragte Kyle.
»In etwa fünf Minuten«, sagte London und wandte sich an Hagen. »Vielleicht sollte deine Truppe schon einmal ausschleusen und in Position gehen.«
Hagen blickte Kyle an, denn der musste letztlich den Befehl geben. Kyle nickte.
»London hat recht, es ist Zeit. Die Männer sollen eine lockere Zangenformation fliegen. Wir warten, bis Ihr in Position seid, dann werden wir unser Ultimatum übermitteln. Ich kann mir nicht denken, dass sie einen Kampf riskieren werden.«
Hagen nickte kurz und eilte dann aus der Zentrale. London war sicher, dass seine Männer bereits in ihren Maschinen saßen und nur noch auf den Startbefehl warteten.
London blickte auf seine Monitore und fragte sich, was ihn eigentlich an diesem Bild störte. Die JEAN SIBELIUS hatte ihre Fluglage geändert und die Nase des Schiffes zeigte von ihnen weg, so als wenn sie sich zu einer Flucht entschlossen hätten. Er sah auf den Distanzmesser. Noch höchstens eine Minute, dann musste er Gegenschub geben, um noch vor dem Zielschiff zum Stillstand zu kommen.
Plötzlich begriff er, was ihn störte. Warum arbeiteten die Triebwerke der JEAN SIBELIUS nicht mit voller Leistung, wenn man vor ihnen fliehen wollte? Es gab nur einen einzigen Grund: Man hatte überhaupt nicht vor, zu fliehen, sondern hatte noch einen Trumpf im Ärmel. Das Plasmatriebwerk! Es zeigte genau auf die BLACK BOTTOM.
»Scheiße!«, brüllte London und schlug mit der Hand auf die Schalter für die Aktivierung der Triebwerke. Das Schiff schüttelte sich bedenklich.
»Was tust du?«, wollte Kyle wissen. »unsere Leute sind dort draußen.«
»Ich weiß, was ich tue!«, rief London. »Lass mich jetzt in Ruhe, vielleicht haben wir dann noch eine Chance.«
»Eine Chance? Wovon zum Teufel redest du?«
In diesem Moment blitzte es bei der JEAN SIBELIUS grell auf. Das Schiff hatte sein Plasmatriebwerk gezündet und der Abgasstrahl zeigte exakt auf die BLACK BOTTOM. Von einem Moment zum anderen war die Luft vom Lärm zahlloser Alarme erfüllt. Jeder, der nicht angeschnallt war, wurde zu Boden geschleudert.
»Wir sind getroffen!«, rief London. »Ich will einen vollständigen Status! Ich muss wissen, ob wir noch manövrieren können!«
Kyle, der sich an einer der Konsolen eine blutige Schramme zugezogen hatte, rappelte sich hoch und blickte mit einem nur schwer zu deutenden Blick auf die Bildschirme.
»Wie konnten sie auf uns schießen?«, wollte er wissen. »Ich dachte, dieses Schiff wäre unbewaffnet!«
»Es war das Triebwerk, Kyle«, sagte London. »Der Kommandant dort drüben ist clever. Sie haben uns mit ihrem Triebwerk eins verpasst.«
»Dafür mach ich sie fertig!«, sagte Kyle gefährlich leise. »Thomas mach die große Laserkanone schussbereit, wir schießen ihnen die Zentrale weg.«
»Das kannst du nicht machen«, sagte Sabina tonlos, die in der Tür zur Zentrale erschienen war. »Es reicht doch, wenn wir ihre Waren stehlen.«
»Was hast du hier zu suchen?«, fuhr Kyle sie an. »Verschwinde gefälligst wieder dorthin, wo du hingehörst und mach deine Arbeit! Thomas, wo bleibt die Kanone?«
»Die Waffe ist tot, Kyle. Der Treffer hat offenbar mehr beschädigt, als wir dachten.«
»Dann sollen das die Beiboote machen.« Kyle griff nach einem Mikrofon und rief nach Hagen.
»Was ist bei euch los?«, fragte Hagen. »Wir haben beobachtet, dass ihr einen Treffer von der JEAN SIBELIUS abbekommen habt.«
»Halb so wild«, sagte Kyle. »aber ich will verhindern, dass sie noch einmal feuern können. Schießt ihnen die Zentrale weg. Es reicht, wenn wir noch an die Laderäume kommen.«
»Du willst, dass wir sie einfach umbringen?«, fragte Hagen. »Das kannst du nicht verlangen. Wir werden jetzt das Schiff entern. Bei Gegenwehr mag es zu Personenschäden kommen, aber ich werde nicht einfach auf ein ziviles Schiff feuern, wenn es nicht nötig ist.«
»Hagen, das ist ein Befehl!«, brüllte Kyle.
»Den ich nicht befolgen werde«, gab Hagen trocken zurück. »Haltet euch aus dem Bereich des Triebwerks der JEAN SIBELIUS heraus. Ich hab keine Lust, mit einem Beiboot zur Erde fliegen zu müssen.«
Kyle wollte noch etwas sagen, doch Hagen hatte bereits die Verbindung unterbrochen.