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13. Der Flug der JEAN SIBELIUS
13.12 Raumschlacht
Haruki Ono und Jan sahen sich an. Damit hatten sie den Beweis, dass an Bord des Frachters etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Jan gab Haruki ein Zeichen, dass dieser das Gespräch weiter führen sollte. Er wollte vermeiden, dass man durch einen Zufall vielleicht dahinterkam, dass er mit der eigentlichen Kommandantin des Frachters etwas zu tun hatte.
Haruki drückte auf die Sendetaste.
»Ein London Brown ist definitiv nicht Kommandant der JEAN SIBELIUS. Wir gehen daher davon aus, dass Sie uns täuschen wollen. Ich fordere Sie auf, die Kaperung des Schiffes zu beenden und an Bord ihres Schiffes zurückzukehren.«
Ein lautes Lachen drang aus dem Lautsprecher. »Machen Sie sich nicht lächerlich! Da Sie ja offenbar über erstaunlich gute Informationen verfügen, werden Sie auch wissen, dass wir die Besatzung dieses Schiffes als Geiseln in unserer Gewalt haben. Wenn Sie nicht wollen, dass ihr etwas geschieht, sollten Sie etwas Abstand zu uns halten und uns ziehen lassen.«
»Das werden wir sicher nicht tun, Brown«, sagte Haruki. »Wer garantiert uns, dass sich die Besatzung überhaupt noch in ihrer Gewalt befindet und lebt? Ich möchte sofort mit der Kommandantin der JEAN SIBELIUS sprechen.«
»In Ordnung, das ist Ihr gutes Recht«, meinte Brown. »Ich hol sie ans Mikrofon. Warten Sie einen Moment.«
Sie hörten, wie im Hintergrund geredet wurde – verstehen konnten sie leider nicht viel davon.
»Wie es scheint, haben sie ihnen noch nichts angetan«, flüsterte Jan Haruki zu. Er wirkte etwas erleichterter als noch vor einer Minute.
»Das liefert uns aber noch keine Lösung, wie wir die Geiseln heil aus ihrer Gewalt befreien können«, entgegnete Haruki ebenso leise. »Sie haben dort Beiboote, die uns das Leben schwer machen könnten und da ist immer noch dieses merkwürdige Frachtschiff – wenn es überhaupt eines ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es bewaffnet ist.«
Jan gab Sean McConnor vom Waffenstand ein Zeichen.
»Volle Gefechtsbereitschaft«, formte er mit den Lippen. Die Funkverbindung war noch offen und er wollte nicht, dass man bei den Piraten zu früh etwas von ihren Vorbereitungen mitbekam.
»Hier ist Isabella Lückert«, kam Isabellas müde Stimme aus dem Lautsprecher. »Die frühere Kommandantin der JEAN SIBELIUS.«
»Sie wirken sehr erschöpft«, sagte Haruki. »Geht es Ihnen gut? Werden Sie gut behandelt? Wie geht es den anderen Besatzungsmitgliedern?«
»Bisher hat man keine Gewalt gegen uns angewandt, wenn Sie das meinen. Aber die nervliche Anspannung macht uns zu schaffen. Die Leute hier sind sehr entschlossen. Ich weiß nicht, was geschieht, wenn man sie unter Druck setzt.«
»So, das sollte reichen!«, fuhr London Brown dazwischen. »Sie wissen jetzt, dass es der Besatzung gut geht. Wir würden es begrüßen, wenn Sie nichts unternehmen, was das Leben unserer Geiseln gefährden könnte.«
Haruki wollte noch etwas erwidern, als er von einer Anzeige auf seiner Ortungskonsole abgelenkt wurde. Er unterbrach die Verbindung.
»Was ist?«, fragte Jan. »Warum unterbrichst du den Funk?«
Haruki nahm einige Schaltungen vor, damit auch die Anderen auf dem Hauptmonitor sehen konnten, was ihn beunruhigt hatte.
»Die Feldsensoren haben angeschlagen«, erklärte er. »In normalen Schiffen hätte man es nicht einmal bemerkt, aber wir haben besonders empfindliche Sensoren. Drüben im Schiff der Piraten werden Kondensatoren aufgeladen. Das kann nur eines bedeuten: Sie verfügen über eine Laserkanone und machen sie einsatzbereit. Diese Dreckskerle wollen uns aus dem All blasen.«
»Ich bin bereit«, sagte Sean McConnor knapp. »Partikelkanone und Gegenmaßnahmen sind klar zum Einsatz.«
Jan fühlte, wie die Anspannung erneut von ihm Besitz ergriff.
»Wir werden nicht hier ausharren, bis sie auf uns schießen!«, sagte er. »Schnallt euch an! Ich werde sie mit einigen Flugmanövern verwirren. Sean, behalte sie im Visier. Haruki achte auf Beiboote!«
Er griff in die Steuerung und aktivierte die Triebwerke. Fast unvermittelt brach die FREELANCER zur Seite aus.
»Was ist, wenn sie uns treffen?«, fragte Mandy Gomez nervös. »Wir sind nicht immun gegen Hochenergielaser.«
»Sean, was ist mit den Gegenmaßnahmen?«, fragte Jan.
»Geht nur, wenn wir uns nicht bewegen. Solange du hier mit dem Schiff herumzappelst, bringt das nichts.«
Jan hatte zwar auch die Unterlagen überflogen, die sich mit der Waffensektion der FREELANCER befassten, doch konnte er sich unter den Gegenmaßnahmen noch nicht viel vorstellen.
»Wenn ich stehen bleibe, können sie uns ins Fadenkreuz bekommen«, sagte er.
»Genau das ist es, was ich brauche«, antwortete Sean mit einem hämischen Grinsen. »Bleib relativ zum Gegner stehen und lass sie schießen. Ich weiß, was ich tue.«
Mit gemischten Gefühlen passte Jan ihre Geschwindigkeit dem schwarzen Piratenschiff an.
Mandy wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Die FREELANCER ist ein Kampfraumschiff«, betonte Sean. »Wir werden sie jetzt und hier testen. Jan, ich brauche deine Freigabe, dass ich feuern darf, wenn ich es für notwendig halte.«
»Erteilt«, sagte Jan. Er war nicht scharf darauf, das Schiff in einen echten Kampf zu verwickeln, aber dann dachte er an Isabella, die auf der JEAN SIBELIUS gefangen war. Er biss seine Zähne zusammen und sah auf die Bildschirme.
Sean aktivierte die Gegenmaßnahmen bereits prophylaktisch. Aus unzähligen kleinen Düsen stieß die FREELANCER kleinste Partikel aus, die nach kurzer Zeit die optische Sicht auf ihren Gegner immer mehr erschwerten.
»Das sind deine Gegenmaßnahmen?«, wollte Mandy wissen. »Das ist doch wohl ein Witz!«
»Mandy, jetzt nicht!«, rief Sean. »Ihre Kondensatoren sind so voll, dass wir jeden Augenblick mit einem Treffer rechnen müssen. Ich muss mich jetzt konzentrieren.«
Es dauerte keine Minute, da blitzte es grell auf. Die BLACK BOTTOM hatte ihre große Laserkanone auf die FREELANCER abgefeuert. Doch mehr geschah nicht. Als sich ihre Augen wieder an das normale Licht gewöhnt hatten, war der Spuk vorbei.
»Ja, ihr Drecksäcke!«, schimpfte Sean in Richtung des Ortungsbildschirms, auf dem schemenhaft ihr Gegner zu erkennen war. »Damit habt ihr nicht gerechnet, was?«
»Was ist denn eigentlich geschehen?«, fragte Jan. »Wir haben offenbar keinen Schaden erlitten. Haben sie uns verfehlt?«
»Oh nein, sie haben uns exakt getroffen«, sagte Sean triumphierend. »Aber wir haben ihren Laser zu einer Taschenlampe degradiert. Dieser Nebel dort draußen – das sind viele Tausend kleinste Kristalle. Jeder Einzelne davon bricht das Licht. Wir haben ihren Laserstrahl defokussiert, dass er für uns nicht viel mehr ist, als ein greller Scheinwerfer.«
»Achtung, Raketen!«, rief Haruki. »Jetzt wollen sie ihr Werk mit Hilfe von Raketenbatterien vollenden!«
Jan drückte schnell den Fahrthebel ein Stück nach vorn, worauf das Schiff einen Satz machte. Zwar waren sie damit auch wieder für den Laser zu erreichen, doch rechnete Jan nicht damit, dass man auf der Gegenseite das Geschütz so schnell neu ausrichten konnte.
»Stellen Sie sofort das Feuer ein, sonst sind wir gezwungen, sie unter Beschuss zu nehmen!«, brüllte Haruki in sein Funkgerät und hoffte, dass die Gegenseite mit der gleichen Frequenz arbeitete, wie auch die JEAN SIBELIUS.
»Ha, ihr schlagt Haken, wie ein Hase und wollt mir Forderungen stellen?«, kam es aus dem Lautsprecher. »Ich mache euch jetzt fertig!«
»Kyle, nicht ...! Du machst einen Fehler!«
Sean und Jan sahen sich an. Was hatte das zu bedeuten? Gab es zwei verschiedene Parteien unter ihren Gegnern?
»Sie feuern schon wieder auf uns«, meldete Haruki. »Diesmal sind es fast hundert Raketen.«
Jan wich den Raketen im letzten Moment aus.
»Es geht nicht anders, wir müssen sie uns vom Hals halten. Sean, Feuer!«
Sean nickte Jan zu und drückte eine Taste. Auf den Monitoren der Außenbeobachtung war für einen winzigen Augenblick ein grellgelber Strich zu erkennen, der die BLACK BOTTOM traf und am entgegengesetzten Ende wieder austrat. Er verlor sich in der Unendlichkeit. Sie blickten auf die Bildschirme, wo die BLACK BOTTOM um die Einschussstelle herum zu leuchten begann.
»Wir sind getroffen!«, kam es aus dem Funkgerät. »Mein Gott, der Reaktor! Wir müss ...«
Dann kam nichts mehr. Auf den Monitoren war zu sehen, dass die BLACK BOTTOM von einer gewaltigen Explosion zerrissen wurde. Für eine kurze Zeit stand eine kleine Sonne neben ihnen im All, die jedoch schnell wieder verblasste. Jan war sprachlos.
Sean stieß heftig die Luft aus.
»Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet«, sagte er betroffen. »Mir war bewusst, dass die Partikelkanone einen höheren Wirkungsgrad besitzt, als die herkömmlichen Laserkanonen, aber dass das Schiff gleich auseinanderfliegt, hab ich nicht erwartet.«
»Macht euch keine Vorwürfe!«, sagte Pelle Larsson, der sich bisher zurückgehalten hatte. »Irgendwann hätten sie uns empfindlich getroffen. Die Frage war nur, ob es sie oder uns erwischt. Und ganz ehrlich: Ich bin verdammt froh, dass es nicht uns erwischt hat. Sean hat vermutlich mit dem Partikelstrahl genau die Reaktorzelle perforiert. Vielleicht hat der Schuss zufällig genau dort getroffen, wo die Steuerung der Plutoniumzelle saß, dann kann es schon mal zu einer spontanen Kettenreaktion kommen. Jedenfalls sind sie jetzt unbewaffnet.«
»Die Beiboote liegen noch an den Schleusen der JEAN SIBELIUS«, wandte Jan ein. »Wenn sie die einsetzen, haben wir es mit einer Reihe wendiger und dazu noch bewaffneter Einheiten zu tun.«
Erst jetzt sahen sie, dass die Signalleuchte des Funkgerätes blinkte. Jemand versuchte, Kontakt zu ihnen aufzunehmen.
Jan drückte ganz in Gedanken auf die Aktivierungstaste und sagte: »Ja? Was gibt es?«
»Ihr habt meinen Bruder umgebracht, Ihr Schweine!«, hörten sie die Stimme von London Brown. »Es ist euch doch klar, dass wir unsere Gangart jetzt ändern werden. Ich werde mir jetzt überlegen, welche der Geiseln ich als Erstes aus dem Schiff stoßen werde.«
»Wenn auch nur einer der Geiseln etwas geschieht, haben sie die Konsequenzen zu tragen!«, rief Jan heiser. Er war nicht annähernd so ruhig, wie er sich gab. Er fragte sich, was er tun oder sagen konnte, um die Piraten nicht zu einer Kurzschlusshandlung zu verleiten, doch ihm fiel nichts ein.
»Ich will wissen, mit wem ich spreche!«, forderte der Pirat. »Wie lautet ihr Name?«
»Ich bin Kommandant Lückert!«, antwortete Jan wütend. »Und ich verbitte mir ihren Ton!«
Erst jetzt bemerkte Jan, dass er möglicherweise einen Fehler gemacht hatte. Sie hatten Haruki Ono den Piraten gegenüber als Kommandanten ausgegeben und nun machte er selbst den Fehler, seinen Namen zu nennen. Es war der ungeheure Druck, der ihn dazu verleitet hatte. Mandy und Pelle sahen ihn entgeistert an.
»Bist du wahnsinnig?«, flüsterte Pelle ihm zu. »Wenn dieser London nicht ganz blöd ist, wird er eine Verbindung zwischen dir und Isabella herstellen können.«
»Das weiß ich selbst«, erwiderte Jan ebenso leise. »Ich weiß selbst nicht, was mich da eben geritten hat.«
»Lückert, hm?«, sagte London über Funk. »Hab ich mir doch gleich gedacht, dass dieses Schlitzauge nicht wirklich dieses Schiff führt. Lückert stellen sie sich vor, aber ich habe hier jemanden an Bord, der auch Lückert heißt. Was würden sie davon halten, wenn ich die frühere Kommandantin Lückert aus der Schleuse stoßen würde?«
»London, wenn Sie das tun, bringe ich sie um«, hörte Jan sich sagen. »Ich werde sie auch umbringen, wenn Se ihr auch nur ein Haar krümmen.«
London lachte, was Jan noch wütender machte. »Entschuldigen Sie, Lückert, aber leere Versprechungen amüsieren mich immer sehr.«