14. Tanz auf dem Vulkan
14.06 Der Start der Rising-Star

Isabella ließ das Funkgerät eingeschaltet und aktivierte der Reihe nach alle Systeme. Blinkend erwachte die gesamte Konsole zum Leben. Ebenso sprangen die Monitore an, die ihr ein genaues Bild der Umgebung des Schiffes zeigten. Die Geräte mussten gut gegen die Flüssigkeit isoliert sein, denn es gab nirgends auch nur den kleinsten Aussetzer. Isabella schaltete die Korpuskulartriebwerke auf Vorglühen. Wenig später ließ sie die Aggregate anlaufen. Die RISING STAR setzte sich in Bewegung.
»Wir wünschen Ihnen eine gute und erfolgreiche Reise«, tönte es aus dem Lautsprecher. Isabella kümmerte sich jetzt nicht darum, denn sie hatte genug damit zu tun, die Trimmung zu prüfen und das Schiff auszurichten. Noch war das Schiff recht langsam, denn es dauerte eine Weile, die große Masse des Schiffes in Schwung zu bringen. Als sie sicher war, dass sie mit ihren Triebwerken keinen Schaden anrichten würde, warf sie noch einen Kontrollblick auf das Heckradar, dann legte sie den Hebel für die Plasmatriebwerke um und das Schiff nahm deutlich Fahrt auf. Die RISING STAR schüttelte sich ein wenig, stabilisierte sich aber, nachdem Isabella die Triebwerke synchronisiert hatte. Irritiert warf sie einen Blick auf den Beschleunigungsmesser, der auswies, dass das Schiff bereits mit sechs G beschleunigte, während sie noch recht locker auf ihrem Kontursessel hockte und sich nicht einmal angeschnallt hatte. Die gesamte Zentrale schien eine hochwirksame Beschleunigungskammer zu sein. Die Sache mit der Flüssigatmung schien zu funktionieren.
»Isabella, wann wollen Sie denn den Antimaterie-Antrieb zünden?«, kam eine Frage aus dem Lautsprecher.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie bereits seit fast zwei Stunden mit den Plasmatriebwerken geflogen war. Es widerstrebte ihr noch immer, die Urgewalten der Antimaterie freizusetzen. Doch sie hatte keine andere Wahl. Sie brauchte die volle Beschleunigung, sonst brauchte sie diesen Flug überhaupt nicht unternehmen.
Sie tippte eine Antwort: »Ich werde es gleich einschalten. Geduld.«
Isabella blickte auf die Anzeigen der Antimaterie-Steuerung. Beruhigend leuchteten die Bereitschaftslampen der Zyklotrone. Wenn Dr. Burmester und seine Leute ihre Arbeit vernünftig gemacht hatten, sollte es jetzt möglich sein, diese Höllenmaschine zu starten. Immer wieder kontrollierte sie ihren aktuellen Kurs und die Meldungen auf den Monitoren für die Antimaterie-Staub-Dosierung. Alles sah genau so aus, wie es aussehen sollte. Wäre die Zentrale mit normaler Atemluft gefüllt gewesen, hätte man den schweren Seufzer gehört, den sie nun ausstieß, doch so verhallte auch dieses Geräusch ungehört. Isabella schnallte sich sicherheitshalber auf ihrem Pilotensitz fest. Das Körpergefühl war für sie noch immer irgendwie falsch. Sie trug den blauen Badeanzug, den ihr Claudia gegeben hatte. Der Pilotensitz fühlte sich irgendwie eigenartig an. Allerdings hatte sie bisher auch noch niemals mit der nackten Haut darauf gesessen.
Sie gab sich einen Ruck und aktivierte den Computer, der ab jetzt die Steuerung des Triebwerks übernehmen musste und dem sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Auf dem Monitor konnte sie verfolgen, wie die Anlage sich auf ihren ersten echten Start vorbereitete. Die Magnetfelder wurden fokussiert und schließlich eine winzige Menge Osmiumstaub in die Reaktionskammer geblasen. Jetzt kam der entscheidende Moment. Isabella vergaß völlig, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren und ihr wurde leicht schwindelig. Der Monitor zeigte die Einspeisung des Antimaterie-Staubs an. Im nächsten Moment spürte Isabella ein heftiges Schütteln des gesamten Schiffes. Ängstlich blickte sie auf den Monitor, doch es gab keine Warnung – kein Notsignal. Es schien funktioniert zu haben. Das Schütteln wurde heftiger. Hinzu kamen deutlich wahrnehmbare Druckwellen, die in einem fort durch die Zentrale liefen und ihr Übelkeit verursachten. Der gesamte Körper begann zu kribbeln. Für einige Augenblicke war Isabella nicht mehr in der Lage, ihre Aufgabe als Pilotin wahrzunehmen. Sie war nur noch damit beschäftigt, genügend Sauerstoff zu bekommen und dieses unangenehme Kribbeln des gesamten Körpers abzuschütteln. Kurz, bevor sie ihr Bewusstsein zu verlieren drohte, verloren sich die heftigen Schwingungen, die ihr so zu schaffen gemacht hatten. Das Schiff beruhigte sich zunehmend und auch die unangenehmen Druckwellen ließen immer mehr nach. Als es vorbei war, fragte sie sich, ob vielleicht etwas mit dem Antrieb nicht in Ordnung sei, denn von einer Beschleunigung war im Grunde nichts zu bemerken. Ein kurzer Blick auf den Beschleunigungsmesser hingegen zeigte ihr, dass das Schiff mit nahezu sechzehn G beschleunigte und ihrem fernen Ziel entgegen raste. Nun hatte sie etwa zweiundvierzig Stunden Zeit, bevor sie wieder in den Flug eingreifen musste. Bis dahin war sie eigentlich arbeitslos, denn sie würde es nicht wagen, irgendwie in die Steuerung des Antriebs einzugreifen. Ihr fiel ein, dass sie der Kontrollstation auf dem Mond noch keine Meldung gemacht hatte.
»Antimaterie-Antrieb läuft einwandfrei«, tippte sie in ihre Konsole. »Nach kurzfristiger Phase der Desorientierung und körperlichem Unwohlsein geht es mir ausgezeichnet. Ich werde mich abmelden und versuchen, etwas zu schlafen.«
»Verstanden«, erschien eine Schrift auf dem Monitor. Offenbar gab es aufgrund der hohen Beschleunigung inzwischen Probleme, eine akustische Verbindung aufrecht zu halten. »Wir empfehlen, etwas Nahrung aufzunehmen, bevor Sie schlafen. Ihr Organismus muss derzeit Höchstleistungen erbringen.«
»Verstanden«, gab sie zurück. »Ich melde mich für die nächsten Stunden ab.«
Isabella spürte selbst, dass sie vollkommen erschöpft war. Die Atmung in der Flüssigkeit war – auch wenn sie sich inzwischen daran gewöhnt hatte – um einiges mühsamer, als eine normale Luftatmung. Der Körper war daran nicht gewöhnt. Sie schwamm zur Küchenzeile, wie sie sie insgeheim nannte, und kramte in den Fächern herum, um eine Tube mit einer Geschmacksrichtung zu finden, die sie mochte. Sie brach das Siegel einer Tube 'Rinderbraten' und hielt sie sich an die Lippen, nachdem sie die Flüssigkeit aus ihrem Mund geblasen hatte. Heftig saugte sie an der Tube und presste sich deren Inhalt in den Mund. Was den Geschmack anging, war wohl mehr der Wunsch der Vater des Gedanken, denn das Zeug schmeckte leicht süß, sowie auch etwas salzig. Von Bratengeschmack konnte Isabella nichts entdecken. Noch während sie sich fragte, wie sie dieses Zeug überhaupt hinunterschlucken soll, spürte sie, wie es offenbar bereits von ihren Mundschleimhäuten aufgenommen wurde. Sie wartete, solange sie konnte, bevor sie wieder unter Sauerstoffmangel litt und wieder atmen musste. Daran musste sie noch arbeiten.
Anschließend schwamm sie zu einer Art Liege herüber, schnallte sich locker dort an und schloss die Augen. Isabella hatte nicht erwartet, bald einzuschlafen, doch war die Erschöpfung so groß, dass sie bereits nach wenigen Augenblicken schlief, während die Computer der Steuerung das Schiff mit größtmöglicher Beschleunigung ihrem fernen Ziel entgegen brachten.